Zuviel Förderung schadet

Schon Babys haben heute volle Terminkalender: Turnen, PeKip, Musikunterricht, Babyschwimmen und Krabbelgruppen stehen auf dem Programm. Einfach nur spielen? Dafür haben selbst die Kleinsten oft keine Zeit mehr. Psychologen haben untersucht, wie gut die viele Anleitung für Kindern tut. Ihr Fazit sollten alle Eltern lesen!

Schon in den ersten Lebensmonaten haben Babys heute Termine: Baby-Yoga, PeKip und Babymassage stehen auf dem Programm. Nachmittags wird mit Mama gemeinsam eine Krabbelgruppe besucht. Ab dem ersten Lebensjahr wird das Förderungsangebot noch umfangreicher: Babyschwimmen, Early English, Frühe Musik. Auch Rollenspiel und kreatives Malen wird von erfahrenen Pädagogen angeleitet.

Einfach mal eben mit Freunden verabreden? Kindergartenkinder von heute können das nicht. Denn beinahe jeder Nachmittag ist voll. Hanna hat Montags Musikunterricht, geht Mittwochs zur Schwimmschule und Freitags zum Tanzen. Ihre Freundin Jule lernt Reiten, hat Englischunterricht und besucht einen Theaterkurs. Verabredungen sind da schon logistische Herausforderungen.

Jede Menge Kurse als Vorbereitung auf die globalisierte Welt

Eltern, die sich vor den vielen Kursen – und auch den Kosten – scheuen, werden von anderen Eltern schnell in eine Rabenelternecke gestellt. Wollen die etwa nicht das Beste für ihr Kind? Je früher gelernt wird, desto besser. Schließlich sollen die Kinder sich in einer globalisierten Welt behaupten können.

Warum muss soviel frühe Förderung heute sein? Heute muss ein Kind mit 5 Jahren unbedingt die ersten Vokabeln einer Fremdsprache können, das Schwimmen beherrschen und mindestens ein Sportangebot besuchen. Vor 25 Jahren sollte jedes Kind eine Schleife binden können und lernte das Schwimmen erst in der Schule. Die Nachmittage in der Vorschulzeit gehörten dem Spielen mit Freunden – und die traf man oft einfach vor der eigenen Haustür.

Schon vor 24 Jahren ging es um das „Verschwinden der Kindheit“

Die Durch-Pädagogisierung der Kindheit ist der aktuelle Trend. Nicht nur in Deutschland, auch in den USA und in den anderen Industrienationen. Schon 1987 hat Neil Postman ein Buch mit dem Titel „Das Verschwinden der Kindheit“ geschrieben. Seine These war damals, dass die neuen Medien die Kindheit entzaubern. An Twitter, Facebook oder Apps konnte man damals gar nicht denken.

Doch irgendwie verschwindet Kindheit wirklich. Denn die Geburtenrate sinkt. Kinder können gar nicht mehr vor die eigene Haustür gehen und dort Spielpartner finden. Kinder werden zur seltenen Spezies und selbstverständliche Dinge – wie etwa Rollenspiele – gelten nun als etwas besonderes, das eine spezielle Anleitung von Erwachsenen braucht.

Welche Art von Lernen brauchen Kinder wirklich?

Doch die zunehmende Verschulung und die ständige Dominanz der Erwachsenen in der Kinderwelt ist fatal. Das beweisen nun auch aktuelle Studien. Zwei neue Untersuchungen – eine von Wissenschaftlern des Massachusetts Institute of Technology in Boston, die andere von Forschern der Universität Berkeley – testeten an Vorschulkindern, welche Art des Lernens zu welchen Resultaten führt. Bei beiden Untersuchungen gingen die Wissenschaftler von der gleichen Annahme aus: Lernt ein Kind unter Anleitung, erhält es zwar schneller Antworten und Lösungen, aber umso weniger entwickelt es selbst dabei die Fähigkeit, Probleme eigenständig anzugehen und Lösungen für sich zu erarbeiten.

Die beiden Wissenschaftler-Teams wählten nun dieselbe Grundmethode für ihre Untersuchung: Sie gaben jeweils zwei Gruppen von Vorschulkindern bestimmtes Spielzeug in die Hand. Der einen Gruppe wurde genau gezeigt, wie diese Spielzeuge funktionieren. Die andere Gruppe wurde sich selbst überlassen.

Die Ergebnisse der beiden Studien zeigen ähnliches: Die Kinder, denen das Spielzeug nicht erklärt wurde, suchten intensiver und ausdauernder nach allen denkbaren Möglichkeiten, was man mit dem Ding anfangen könne. Danach waren die Kinder auch interessierter an anderem Spielzeug.

Die Kinder in der „verschulten“ Gruppe hielten sich an die Anweisungen der Erwachsenen. Nach anderen Einsatzmöglichkeiten oder Ideen, was man noch mit dem Spielzeug anfangen könnte, suchten sie nicht. Sie zeigten keine Lust anderes Spielzeug zu erforschen.

Das Fazit der Forscher: „Pädagogik fördert zwar das effiziente Lernen. Aber dies hat einen Preis: Die Kinder neigen nicht nur weniger dazu, potentiell irrelevante Handlungen auszuführen, sondern es ist auch weniger wahrscheinlich, dass sie neue Informationen suchen.“

Freiräume ohne Programm fördern Kreativität

Wer in sich geht, wird schnell finden, dass die Forscher recht haben. Nicht ohne Grund haben wir Erwachsenen vieles von dem was, wir im Frontalunterricht der Schule gelernt haben, schnell wieder vergessen. Das Höhlenbauen mit anderen Kindern im Garten, lange Rollenspiele oder witzige Verkleidungsaktionen allerdings erinnern wir auch noch nach Jahrzehnte später und denken gern an die Freiheit vor der Schule zurück. Vielleicht brauchen Kinder auch wieder mehr Freiraum und Eltern mehr Vertrauen in die Kreativität und die Fähigkeiten der Kinder. Ganz ohne Kurse.

Quellen: Elizabeth Bonawitz, Patrick Shafto, Hyowon Gweon, Noah D. Goodman, Elizabeth Spelke und Laura Schulz: “The double-edged sword of pedagogy: Instruction limits spontaneous exploration and discovery”, in: “Cognition” 10/2010.
Daphna Buchsbauma, Alison Gopnik, Thomas L. Griffiths und Patrick Shafto: “Children’s imitation of causal action sequences is influenced by statistical and pedagogical evidence”, in “Cognition”, 10/2010.

Bild: © Eduard Titov für istockphoto.com

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