Mischt Oma sich zuviel ein?

Wenn das Enkelkind da ist, ist die Freude groß. Möchte die Oma dann die junge Familie unterstützen, birgt dies allerdings Konfliktpotential. Wo ist die Grenze zwischen einem guten Rat und Einmischen? Was sollten Eltern tun, wenn Oma und Opa Dinge erlauben, die Eltern nicht gut finden? Expertin Helga Gürtler weiß, wie schwierig Konflikte sein können.

Barbara*(65) steht daneben, als ihre Schwiegertochter Kerstin (32) die neugeborene Pia anzieht. „Das Köpfchen besser festhalten, kremple den Strampler doch schon vorher ein, das geht leichter.“ Barbara strahlt. Sie ist stolz auf ihre erste Enkeltochter – aber sie macht sich auch ein wenig Sorgen. Ob sie vielleicht selbst einmal den Kinderarzt anrufen sollte? Kerstin erklärte, dass die Neugeborenen-Gelbsucht nicht schlimm sein. „Die Hebamme meint, das geht mit ein bisschen Sonne weg.“ Barbara ist da kritisch.

Was wenn Oma sich zu viel einmischt? (© Thinkstock)
Was wenn Oma sich zu viel einmischt? (© Thinkstock)

Kerstin wird im Laufe des Besuches sichtlich genervter. Muss ihre Schwiegermutter denn wirklich alles kommentieren? Eigentlich hatte sie sich sogar gefreut, dass Barbara kam. Denn Pias Papa kann leider keine Erziehungszeit nehmen. Und die ersten Tage ganz allein mit der Neugeborenen waren ziemlich anstrengend. Im Grunde hat sie ja gar nichts gegen ein paar Tipps von der erfahrenen Barbara – die hat immerhin drei Kinder und zwei Enkelkinder.

Doch nun fühlt sich Kerstin nur beobachtet und bevormundet. Alles scheint sie in den Augen der Schwiegermutter falsch zu machen. Die Haltung beim Stillen, die Lage im Bettchen – alles, aber auch alles ist nicht richtig. Dabei hatte sie vorher zu Barbara ein richtig gutes, fast freundschaftliches Verhältnis. Am Abend fragt sie ihren Mann um Rat. „Ja, da hat meine Mutter ein Problem, das sagt mein Bruder auch. Bei den Enkeln will sie sich eben immer einmischen. Hör da einfach nicht hin.“

Kerstin ist genervt. Und überlegt, wie sie verhindern kann, dass Barbara allzuoft zu Besuch kommt. Schade ist das, denkt sie, denn sie hätte sich ein enges Verhältnis gewünscht, weil Kerstins eigene Mutter im Ausland lebt.

Warum empfindet Kerstin die Ratschläge von Barbara als Einmischen? Hat die Schwiegermutter wirklich eine Grenze überschritten? Dadurch, dass Kerstin selbst sehr unsicher ist, fühlt sie sich schnell kritisiert. Sie kommt sich wieder vor wie ein Kind, das alles falsch macht. Offen mag sie das aber nicht ansprechen.

Barbara hingegen vermisst es, von ihren Kindern gebraucht zu werden. Sie war leidenschaftliche Mutter und freut sich über die Geburt der Enkeltochter, denn sie hat das Gefühl, dass sie hier dringend gebraucht wird. Ihre Schwiegertochter Kerstin erlebt sie als überfordert und zu unreif. Barbara schlüpft schnell wieder in die gewohnte Rolle der Übermutter. Wie es ihrer Schwiegertochter und ihrem Sohn dabei geht, fällt ihr gar nicht weiter auf.

Als sie ein paar Tage später ihren nächsten Besuch ankündigt, erklärt Kerstin, dass sie keine Zeit habe. Barbara ist irritiert, denkt sich aber noch nicht so viel. Doch als sie erneut anruft und Kerstin wieder erklärt, ein Besuch sei ungünstig, wird Barbara hellhörig. Ob alles mit Pia stimmt? Hat sie ihr gutes Verhältnis zu Kerstin überschätzt? Was ist eigentlich los? Barbara ist frustriert und hilflos. Sie möchte doch ein gutes Verhältnis zu ihren Kindern und zum Enkelkind haben.

Gute Beziehungen sind nicht einfach

Gute Beziehungen zur Mutter oder Schwiegermutter sind nicht einfach (© Thinkstock)
Gute Beziehungen zur Mutter oder Schwiegermutter sind nicht einfach (© Thinkstock)

Mit der Geburt eines eigenen Kindes ändern sich die Rollen. Für alle Beteiligten ist das oft nicht einfach. In einigen Familien brechen alte Konflikte auf, Eltern müssen selbst überdenken, was ihnen in der Erziehung wichtig ist – hier bietet sich natürlich Konfliktpotential mit der älteren Generation.
Für Kinder ist die Beziehung zu den Großeltern eine ganz besondere. Im Interesse der Kinder sollten sich daher Großeltern und Kinder um eine gute Beziehung bemühen. Im Falle von Kerstin und Babara gilt vor allem:

Einmischung zeigt Interesse: Es ist nicht immer einfach, zu sehen, dass die eigenen Kinder und ihre Partner selbstständige Erwachsene sind. Wenn sich Großmütter in die Erziehung einmischen, dann tun sie dies, weil ihnen die Kinder und Enkel wichtig sind.

  1. Gute Gründe für ihre Handlungsweise: Mag Barbaras Einmischung auch ungeschickt und verletzend wirken, ihr selbst erscheint sie richtig. Gleiches gilt für Kerstins Rückzug. Sie traut sich nicht, offene Worte zu sprechen.
  2. Großeltern wollen nicht bewusst verletzen, sondern eigentlich unterstützen. Barbara möchte Kerstin helfen und lebt dabei ihre Müttergefühle aus. Dass die Schwiegertochter sich unter Druck gesetzt fühlt, bemerkt sie nicht.
  3. Konflikte sind normal: Wenn sich Großeltern ungefragt in die Kindererziehung einmischen, dann ist Streit vorprogrammiert. Allerdings ist ein grollender Rückzug wie der von Kerstin nicht hilfreich. Eine offene Auseinandersetzung kann zu einem klärenden Donnerwetter werden. Kerstin sollte sich überlegen, warum sie die Ratschläge so sehr als Einmischung empfindet und Barbara muss lernen, dass die jungen Eltern vieles eben anders lösen.

Wo ist die Grenze zwischen einem Rat und Einmischung?

Sicher ist es richtig, dass Einmischung Interesse zeigt. Großeltern sollten sich allerdings klar machen, dass dies für die Eltern schwierig ist. Dipl. Psychologin Helga Gürtler, selbst dreifache Großmutter, erklärt: „ Die Grenze liegt im Ton. Einem Rat kann man folgen. Ihn anzunehmen kann sogar sehr gut tun. Wird etwa gesagt ‚Ich habe das damals immer so und so gemacht’, dann kann die Mutter dies annehmen, sie muss es aber nicht. Wird aber gesagt ‚Ich sage dir, wie es zu machen ist’, dann ist die Erwartungshaltung, dass die Kinder dies auch zu befolgen haben.“ Ein Einmischen löst ganz andere Gefühle aus als ein Rat. „Einem Rat kann man frei folgen, einmischen reizt zu Widerstand.“

Es gibt einiges an Konfliktpotential in der Erziehung, erklärt die Expertin. Wieviel Zeit wird beim Wickeln verbracht, ab wann schlafen Babys am besten im eigenen Bett? Wie schnell sollte eine Mutter reagieren, wenn das Kind weint? „Auf Konflikte können Großeltern gelassen reagieren oder sich aufregen. Sie müssen sich allerdings darüber klar werden, dass ihre Kinder erwachsen sind und nun diejenigen sind, die die Richtung in der Erziehung angeben.“

Gleichzeitig sollten sich aber auch Eltern darüber klar werden, dass auch Oma und Opa die Kinder erziehen. „Wenn die Kinder viel Zeit mit den Großeltern verbringen, dann ist es klar, dass auch deren Art sich durchsetzt.“ Wenn Oma also für den Fünfjährigen Häppchen schmiert, die er vor dem Fernseher essen darf, dann wird er sicher irgendwann sagen: „Aber bei Oma darf ich das.“ Hier ist Souveränität bei den Eltern gefragt. Denn ein einfaches ‚Hier aber nicht’ genügt.

„Es macht nichts, wenn vieles bei den Großeltern unterschiedlich gehandhabt wird“, erklärt Helga Gürtler. „Kinder können das früh differenzieren. Bei Oma wird mehr vorgelesen? Dann ist das so. Es stärkt die soziale Kompetenz von Kindern, wenn sie lernen, dass es bei unterschiedlichen Menschen unterschiedliche Regeln gibt.“

Und wenn die Regeln die Eltern stören? „Bei Kleinigkeiten sollte man großzügig sein. Und bei wichtigen Dingen klare Worte sprechen. Es wird darauf gedrungen, dass das Kind seinen Teller leer ist? Dann das Kind stärken und den Vorschlag machen, nur wenig auf den Teller zu legen, so dass es nachnehmen kann. Eltern geben die Richtung vor.“

Natürlich gehört immer ein wenig Diplomatie dazu. Zwischen Kindern und Eltern kann es alte ungeklärte Konflikte geben, Schwiegerkinder und Schwiegereltern haben leichter Missverständnisse. Totale Harmonie ist gar nicht möglich, darüber sollten sich alle im Klaren sein. „Es ist nicht wahr, dass es in guten Familien keinen Streit gibt. Nie Streit bedeutet eher das Gegenteil. Manche Dinge müssen angesprochen werden, auch wenn man fürchtet, dass das nicht ohne Gereiztheiten abgeht.“ Denn wer über den eigenen Unmut schweigt, der kocht innerlich. Und dann könnte ein Streit eskalieren.

Ein direktes Gespräch ist oft schwierig, es fällt oft schwer, die richtigen Worte zu finden, die nicht kränken. Ein Rat von Helga Gürtler: „Sehr hilfreich kann ein Brief sein, denn so kann die eigene Position in Ruhe dargestellt werden. Das gibt allen Zeit zum Nachdenken. Wenn sich etwas ungut anfühlt, dann muss das geklärt werden.“

Helga Gürtler, geb. 1936, Dipl.- und Kinderpsychologin, ist Autorin zahlreicher Bücher und Aufsätze, hält Vorträge und ist in der Fortbildung von Erziehern sowie in der Elternarbeit tätig. Sie hat neben drei erwachsenen Kindern auch drei Enkelkinder und lebt in Berlin.
Buchtipp: Helga Gürtler: Kinder lieben Großeltern. Ein Ratgeber für das Leben mit Enkeln. Kösel Verlag, 240 Seiten, 8. Aufl. 2009, ISBN: 978-3-466-30509-4,
€ 15,95

*alle Namen von der Redaktion geändert
Bild unten: © Boris Sebastian Gürtler