Zweifel an Vaterschaft: Habe ich ein Kuckuckskind?

Laut Schätzungen soll jedes vierte bis zehnte Baby ein Kuckuckskind sein. Sollten Frauen so ein Geheimnis lieber hüten? Oder offen damit umgehen? Wem könnte das schaden?

Ein positiver Schwangerschaftstest. Seit mehr als zwei Jahren hatte Mira (32)* gehofft, dass sie endlich so einen Test in der Hand halten könnte. „Doch als es soweit war, konnte ich mich nicht freuen.“ Denn die Beziehung zu ihrem Mann war an einem Tiefpunkt. „Wir waren beide enttäuscht, dass unser Lebensplan eine Familie zu sein, nicht klappte. Und der Sex war mehr und mehr zu einer schlimmen Pflichtübung geworden.“

Das Paar verordnete sich eine Auszeit vom Kinderwunsch, Mira warf ihre Temperaturkurven weg und konzentrierte sich auf ihren Job. Sie freute sich, als ihr Chef sie für eine Fortbildung vorschlug. Das Seminar lief eine Woche lang im fernen München. „Ich war weit weg von allen Pflichten. Fühlte mich wieder wie zur Zeit meines Studiums.“ Mit einem Kollegen aus einer anderen Firmenniederlassung verstand sie sich besonders gut. „Es war einfach ein wunderbar unverbindlicher Flirt. Wunderbar, es war schön, mal wieder als begehrenswerte Frau gesehen zu werden.“ Aus dem Flirt wurde nach einer weinseligen langen Nacht mehr. „Ich wollte nicht fremdgehen. Aber es passierte einfach“, sagt Mira. Eigentlich hatte sie ihren „Ausrutscher“ schon fast vergessen. Doch dann kam der Schwangerschaftstest.

Wer ist der Vater des Kindes?

Mira hatte in der Zeit auch mit ihrem Mann geschlafen. War er der Erzeuger? Oder der Kollege? „Ich ging erst einmal allein zum Frauenarzt. Und fragte, ob er genau sagen könne, wann das Kind gezeugt wurde.“ Doch der verneinte. „Ich wollte so gerne dieses Baby. Aber ich wusste nicht, ob ich meinen Mann anlügen sollte.“

Mira entschied sich zunächst für das Schweigen. „Er war so unendlich glücklich, als ich ihm von der Schwangerschaft erzählte. Wie hätte ich da von meinem Seitensprung und dem Zweifel erzählen sollen?“ sagt sie leise. Gemeinsam richten sie das Kinderzimmer ein, der Geburtstermin rückte immer näher. Doch das Geheimnis macht Mira immer mehr zu schaffen. „Ich hatte Albträume, dass das Kind so ganz anders aussehen könne als wir beide. Dass es eine seltene Krankheit hat, die alles auffliegen lässt. Und ich hatte Angst meinen Mann zu verlieren.“ Was, wenn die Wahrheit doch eines Tage heraus käme?

Kuckuckskind - bin ich wirklich der Papa?
Nicht der Vater des eigenen Kindes? Einige Männer zweifeln (Foto: Thinkstock)

Jedes fünfte bis zehnte Kind in Deutschland ist laut Schätzungen ein Kuckuckskind

Während Mütter immer genau wissen, dass das Kind, das sie geboren haben, auch ihres ist, können sich Väter da nicht so sicher sein. Genaue Zahlen gibt es nicht, wie viele Väter Kinder aufziehen, die sie nicht gezeugt haben. Laut einer britische Studie aus dem Jahr 2005 soll es in Europa eine „Kuckuckskinder“-Rate von 3,7 Prozent geben. Die Buchautoren und Experten für genetische Diagnostik Hildegard Haas und Claus Waldenmaiers gehen in ihrem Buch davon aus, dass etwa 10 Prozent aller Schwangeren nicht wissen, wer der Vater ihres Kindes ist. Stimmen diese Vermutungen, so wäre jedes fünfte bis zehnte Neugeborene in Deutschland ein Kuckuckskind, also etwa 25.000 bis 40.000 in jedem Jahr.

Eindeutige Klärung kann nur ein Vaterschaftstest bringen

Immer wieder wird das Thema der „Kuckuckskinder“ auch in den Medien thematisiert. Kein Wunder, dass die Verunsicherung groß ist. Auch die Experten der liliput-lounge werden häufig um Rat gebeten. Von verunsicherten Müttern, die nicht wissen, wer der Vater ist und von Vätern, die zweifeln. Nur ein Vaterschaftstest kann die Vaterschaft eindeutig klären, der Tag der Zeugung oder anderes sind nicht wirklich aussagekräftig.

Schätzungen gehen von etwa 40. 000 Vaterschaftstests pro Jahr aus. Der Verdacht, nicht der biologische Vater zu sein, bestätigt sich etwa bei 25 Prozent.  Findet ein Mann heraus, dass er nicht der biologische Vater eines Kindes ist, kann er aber rechtlicher Vater bleiben, wenn er die Vaterschaft nicht explizit anficht.

Heimliche Tests sind seit dem neuen Gendiagnostikgesetz vom April 2009 verboten. Wer trotzdem testet, begeht eine Ordnungswidrigkeit, die mit bis 5000 Euro bestraft werden kann.

Dabei stärkte der Gesetzgeber die Rechte der Väter  zunächst. Der Bundestag hatte durch das „Gesetz zur Klärung der Vaterschaft unabhängig vom Anfechtungsverfahren“ einen Anspruch auf Vaterschaftstests verabschiedet. Alle Beteiligten (also Vater, Mutter, Kind) waren dazu verpflichtet, in einen Vaterschaftstest einzuwilligen. Väter, die Unterhalt für Kinder gezahlt haben, die nicht ihre sind, können das Geld vom den vermuteten leiblichen Vätern einklagen. Ein entsprechendes Urteil vom Familiengericht konnte die Einwilligung ersetzen, wenn eine Partei sich verweigerte.

Das Bundesverfassungsgericht hat Ende Februar 2015 entschieden, diese Rechtspraxis wieder einzuschränken. Die Richter erklärten, dass der Regressanspruch des Scheinvaters nicht so schwer wie die verfassungsrechtlich geschützte Intimsphäre der Mutter wiege, dazu fehlten geschriebene Grundlagen im geschriebenen Recht (Az. 1 BvR 472/14). Damit besteht das Auskunftsrecht für Scheinväter zwar weiter, sie können dieses Recht aber gegen der Mutter nicht durchsetzen, solange der Gesetzgeber keine klaren Richtlinien beschlossen hat.

Das Geheimnis überschattet den Familienalltag – Opfer sind die Kinder

Die Berliner Journalistin und Buchautorin Simone Schmollack hat sich intensiv mit Thema „Kuckuckskinder“ befasst und mit betroffenen Müttern, Vätern und Kindern gesprochen. „Die Väter ahnen oft schon lange etwas, aber sie schweigen genauso wie die Mütter, so lange die Beziehung gut funktioniert, sie glücklich und verliebt sind“, so Simone Schmollack. „Sie schweigen aus demselben Bedürfnis wie die Mütter. Eine heile Familie ist einfach ein hohes Gut“, sagt Schmollack. Doch so ein Geheimnis überschattet den gesamten Familienalltag von seiner ersten Minute an, vor allem den eines Kuckuckskindes. Oft spüren die Kinder, dass irgendetwas nicht stimmt.

Ein solches Familiengeheimnis ist ein furchtbarer Verrat, so Schmollack: „Zunächst am Mann, den die Frau betrogen hat, weil sie ihm ein Kind als das eigene untergeschoben hat, dann an ihr selbst, weil sie mit diesem Betrug gelebt hat. Aber vor allem am Kuckuckskind, weil man ihm verschwiegen hat, dass es eines ist.“ Einige Männer fühlen sich belogen und betrogen und brechen den Kontakt zum Kind ab, weil sie die Demütigung nicht mehr ertragen. Es gibt auch Fälle, in den die Mutter verhindert, dass der Ziehvater weiteren Kontakt hat. Leidtragende sind immer die Kinder.

Mira hat sich noch vor der Geburt des Kindes überlegt, dass sie ihrem Mann die Wahrheit erzählen muss. „ Es war eine Flucht nach vorn, denn ich wollte nicht, dass meine Familie auf einer Lüge besteht. So hatte mein Mann die Wahl, entweder eine saubere Trennung, oder einen Neuanfang.“

Einfach war es nicht, gemeinsam machen Mira und ihr Mann eine Paartherapie. Sie haben beschlossen zusammen zu bleiben. Ob Miras Mann der biologische Vater der heute einjährigen Saskia ist, will er nicht wissen.

*Namen auf Wunsch geändert

Buchtipp: Simone Schmollack: „Kuckuckskinder, Kuckuckseltern – Mütter, Väter und Kinder brechen ihr Schweigen“. Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf 2008. 240 Seiten, 9,90 €. ISBN: 978-3-89602-817-4. Mit Serviceteil am Ende zu psychologischen und rechtlichen Aspekten.

 

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