Unerkannte Schwangerschaft

Janine hatte heftige Krämpfe. Der Blindarm, tippte der Notarzt. Sechs Stunden später hielt die 17-Jährige ihren Sohn Janek im Arm. In Deutschland werden etwa 1500 Schwangerschaften pro Jahr spät oder erst kurz vor der Geburt erkannt…

In den meisten Fällen ist eine Schwangerschaft nun wirklich nicht zu übersehen. Die Periode bleibt aus und der Bauch wird immer praller und runder. Kaum vorstellbar, dass es Frauen gibt, die eine Schwangerschaft überhaupt nicht bemerken. Und dass auch ihre Umwelt nicht sieht, dass bald ein Baby kommen wird.

Doch tatsächlich ist das Phänomen der unerkannten Schwangerschaft gar nicht so selten. Der Berliner Privatdozent Jan Wessel geht davon aus, dass in Deutschland etwa 1500 Schwangerschaften zunächst unbemerkt bleiben – davon 300 Fälle sogar bis zur Geburt. Der Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte, Dr. Christian Albring aus Hannover, hat selbst eine Frau entbunden, die mit starken Unterleibsschmerzen in seine Praxis kam – es waren Geburtswehen; von der Schwangerschaft hatte die werdende Mutter nichts geahnt.

Kindsbewegungen werden nicht gespürt – Blutungen für die Periode gehalten

Betroffen sind meist sehr junge Frauen oder Frauen mit Gewichtsproblemen. Dr. Christian Albring erklärt: „Ist eine Frau übergewichtig, hat unregelmäßig ihre Blutungen und der Muttterkuchen liegt so, dass die Frau Kindsbewegungen erst spät oder nur schwer spüren kann, ordnet die Frau die Schwangerschaftszeichen einfach falsch ein. Die Kindsbewegungen werden dann als Blähungen fehlgedeutet, die Gewichtsschwankungen hat die Frau sowieso. „Auch während der Schwangerschaft kann es zu Blutungen kommen. Das sind dann zwar keine Regelblutungen“ so der Frauenarzt, „sondern Blutabsonderungen bedingt durch die Lage des Mutterkuchens oder aufgrund von Scheidenentzündungen, aber die Frau kann das durchaus als Menstruation missinterpretieren.“

Anders als eine verdrängte Schwangerschaft, bei der die werdenden Mütter sehr wohl irgendwo im Hinterkopf um die Schwangerschaft wissen, ist eine unerkannte Schwangerschaft gar nicht unbedingt eine ungewollte Schwangerschaft.

Ein Blinddarm namens Janik

Janine* (17) hat gerade eine Ausbildung als Konditorin angefangen. Sie ist seit gut einem Jahr mit ihrem Freund zusammen. „Ich habe immer die Mini-Pille genommen,“ sagt sie. Janine ist ein bisschen mollig, seit Beginn ihrer Lehre hat sie immer mehr zugenommen. „Naja, ich fühlte mich schon sehr unwohl damit, dass ich etwa zehn Kilo mehr auf der Waage hatte.“ Ihre Mutter Anja (42) achtet immer mehr darauf, dass sich die Tochter gesund ernährt. „Ich habe geglaubt, dass Janine heimlich nascht,“ sagt sie.

Anja ist mit ihrem zehnjährigem Sohn und ihrem Mann auf dem Jahrmarkt, als das Handy klingelt. „Mama, komm schnell her, ich habe solche Schmerzen.“ Die Mutter eilt nach Hause, holt den Notarzt. Der tippt auf eine Blinddarmentzündung und überweist die junge Frau in die Notaufnahme. Dort tasten die Ärzte den Bauch ab, rätseln erst. Dann wird ein Ultraschall gemacht – und Janine in den Kreißsaal gebracht. Ihr Sohn Janik ist 47 cm groß und wiegt 3120 Gramm.

Janine kann es noch nicht begreifen, dass sie nun Mutter ist. „Ich hatte immer meine Periode. Ich habe jetzt erst erfahren, dass die Mini-Pille bei Magenproblemen halt nicht zuverlässig ist. Aber dass man schwanger sein kann und dabei bluten kann, darauf wäre ich nicht gekommen.“ Ob sie denn keine Bewegungen des Babys gespürt habe? „Nein, ehrlich gesagt nicht. Der Mutterkuchen lag wohl auch ungünstig. Ich hatte zwar so ein Rumoren im Bauch, aber ich dachte, das liegt an der Ernährungsumstellung.“

„Ich habe mir schon ein Baby gewünscht, allerdings wollte ich selbst eigentlich noch schwanger werden,“ sagt die frischgebackene Oma. Sie ist selbst jung Mutter geworden und ahnt, welche Schwierigekeiten nun auf Janine zukommen. „Sie freut sich über den Kleinen, das ist toll. Auf jeden Fall muss sie aber ihre Lehre beenden.“

Julia – das Überraschungskind

Doch auch ältere Frauen können von einer Schwangerschaft überrascht werden. Tanja Meyer* aus Hamburg (34) hatte bereits zwei Kinder. Bis zur Geburt ihrer Tochter hat sie die Schwangerschaft nicht bemerkt. „Ich hatte gerade eine Diät gemacht und sogar 15 Kilo abgenommen.“ Sie leidet unter starken Rückenschmerzen – aber erst als die erste Wehe kommt, wird ihr klar, dass etwas nicht stimmt. Sie kann es nicht glauben, aber als die Wehen heftiger werden, erkennt sie, was los ist. „Ich habe meinen Mann geweckt und erklärt, dass wir sofort ins Krankenhaus müssen. Da kommt ein Baby.“ Vier Stunden später kommt Julia auf die Welt. Die Eltern freuen sich über das Kind, aber ein Stück Trauer bleibt. „Es gab keine Vorsorgeuntersuchungen, keinen Ultraschall. Wir konnten uns gar nicht auf das Kind vorbereiten und das ist irgendwie schon traurig,“ sagt Tanja. 

Kein Grund sich zu schämen!

Es gibt viele Frauen, die eine Schwangerschaft erst nach einigen Monaten bemerken. Manchmal sogar, weil der Kinderwunsch so stark ist, dass sie gar nicht an die Möglichkeit einer Schwangerschaft glauben wollen. Aber auch wenn eine Schwangerschaft spät oder kurz vor der Geburt erkannt wird, sollten die Betroffenen sich Hilfe suche. Organisationen wie pro familia und Sternipark bieten Unterstützung an. Wichtig ist ein gute Nachversorgung und Betreuung nach der Geburt, denn natürlich ist es ohne „Vorwarnzeit“ viel schwieriger eine gute Mutter-Kind-Bindung herzustellen. Doch die kann durchaus kommen, auch später noch. Eine Schwangerschaft nicht zu bemerken ist kein Grund, sich zu schämen. Unerkannte Schwangerschaften sind häufiger als Drillingsgeburten!

 
*Namen auf Wunsch geändert. 
Photo:© Kwadrat- flickr.com