Wer in diesem Jahr auf die Bestsellerlisten schaut, kommt an einem Buch nicht vorbei: Shades of Grey. Die Triologie des als SM-Roman und Mommy-Porn gehandelten Werkes verkaufte sich weltweit bisher über 30 Millionen Mal. Im Juli diesen Jahres erschien das erste Buch auf Deutsch. Vor wenigen Wochen komplettierte der letzte deutschsprachige Band die Triologie.
Darum geht’s: Die sexuell unerfahrene 21-Jährige Studentin Anastasia Steel trifft auf den steinreichen sechs Jahre älteren Self-Made-Millionär Christian Grey. Er macht ihr nach mehreren „zufälligen“ Treffen ein unmoralisches Angebot: Er will sie vertraglich als seine Sub an sich binden. Das beinhaltet nicht nur bedingungslose sexuelle Gehorsamkeit bei allen Fessel- und Peitschenfantasien, die Christian hat, sondern auch devote Unterwürfigkeit im Alltag. Christian will bestimmen, was Anastasia isst, wie viel Sport sie macht, was sie anzieht. Anastasia ist so fasziniert von Christians Ausstrahlung, dass sie ihre Zweifel vergisst und sich ihm hingibt.

Er entjungfert sie und nimmt sie fortan mit in seine Welt. Eine Welt mit riesigen Apartments, teuren Kleidern, eigenen Segelflugzeugen und allem, was sonst noch so zum Millionärsleben dazugehört. Auch sexuell entführt er sie in sein ganz persönliches „Spielzimmer“. Doch sie windet sich, den Vertrag zu unterschreiben, mit dem sie sich Christian als ihrem Herrn und Meister ausliefern würde. Die Zweifel in ihr werden lauter und schließlich muss sie sich entscheiden, ob sie mit einem Mann zusammen sein kann, von dem sie sich zwar unglaublich angezogen fühlt, der sie aber nicht an sich heranlässt und Spaß daran hat, sie zu seiner sexuellen Befriedigung zu schlagen.
Wer nach dieser kurzen Inhaltsangabe das Buch von seiner Leseliste streicht aus Angst, allzu tiefe Einblicke in die BDSM-Szene zu bekommen, den möchte ich an dieser Stelle beruhigen. Der Roman enthält – zumindest bis auf das letzte Kapitel – keine Sexszene, die sich nicht auch so oder so ähnlich im Schlafzimmer von ganz normalen Paaren mit etwas Experimentierfreude abspielen könnte. Aber offenbar hat die Anwendung von Bondage-Techniken und Sextoys in den USA immer noch Skandalpotential. Der wahre SM-Faktor des Buches geht wohl gegen Null. Die Bezeichnung „mehrfach entschärfter literarischer Softporno“ trifft es wohl eher.
Trotzdem gibt es aber jede Menge Stoff für’s Kopfkino. Denn die Autorin versteht es, die Sexszenen in so detaillierter Genauigkeit zu beschreiben, dass selbst die graueste Phantasie zu blühen beginnt. Außerdem lässt sich das Buch sehr leicht lesen. Der Märchenfaktor leistet sicherlich seinen Teil zum Erfolg des Buches. Christian Grey ist der Prinz, der uns in die Welt der Schönen und Reichen entführt. Hand auf’s Herz, liebe Frauen: Wer hat nicht schon mal von dem Mann geträumt, der einem jeden Wunsch von den Augen ablesen kann – sei er materiell oder sexuell?
Märchenhaft sind auch Anastasias ständige Orgasmen. Bei jedem Mal kommt sie sofort und wie auf Knopfdruck. Dabei hat die Autorin wenig Phantasie und so wiederholen sich nach wenigen Malen nicht nur der Ablauf, sondern auch die Wortwahl. Spätestens hier merkt man, dass die Grundlage des Romans eine Fortsetzungsgeschichte war, die die Autorin auf einer Onlineseite veröffentlichte. Damals hießen die Hauptfiguren angeblich noch Bella und Edward – die Stars aus der märchenhaften Twilight-Saga.
Sprachlich darf man also nicht allzu viel erwarten und auch der Inhalt ist bei genauerem Hinsehen sehr platt. Die Handlung scheint ohne wirklichen Höhepunkt konzipiert (dafür verschafft Christian seiner Anastasia umso mehr davon) und die Charaktere sind dünn wie Butterbrotpapier.
Dass das Buch wegen der sehr detaillierten Beschreibung des Liebesspiels in den USA ein Befreiungsschlag für die weibliche Sexualität gewesen sein soll, kann man nur stark bezweifeln – oder die amerikanischen Frauen bemitleiden. Was allerdings die Wahrnehmung moderner Sexualität besonders von Seiten der Leserinnen beeinflussen könnte ist die Idee, die hinter der Dom-Sub-Beziehung zwischen den Hauptpersonen steht: Endlich einmal kann die moderne Frau – die laut zahlreicher Ratgeber selbst für ihren Orgasmus verantwortlich ist, die sich als Familienmanagerin und Karriereplanerin betätigt – ohne schlechtes Gewissen die Zügel aus der Hand geben. Sie kann sich bewusst unterwerfen und sich selbst vollkommen hingeben. Der Mann trägt die Verantwortung – auch für ihren Orgasmus! Back to the roots!
Fazit: Es gibt richtig gute Bücher, die machen einfach keinen Spaß beim Lesen und es gibt Bücher, die sind richtig schlecht und machen so viel Spaß. Shades of Grey gehört mit Sicherheit zu Letzteren. Als Urlaubslektüre oder für ein Sofa-Wochenende im Winter definitiv geeignet. Lesen Sie es zur Entspannung, wenn Sie Ihr Kopfkino mal wieder einschalten wollen, und ärgern Sie sich nicht, wenn’s dann doch nichts für Sie war. Bei dem Niveau haben Sie sicher nicht allzu viel Zeit mit dem Buch verloren.
Tipp: Wenn Sie nun immer noch nicht genau wissen, ob die Shades of Grey Triologie was für Sie ist, dann warten Sie doch einfach, bis Ihnen der erste Band in einem zweistündigen, leicht verdaulichen Leinwandhäppchen zurechtgeschnitten wird. Universal Pictures und Focus Features haben nämlich die Filmrechte am Buch erworben. Ab Januar 2013 sollen die Dreharbeiten starten. Bei dem Erfolg der Bücher ist es also nur noch eine Frage der Zeit bis auch der Film nach Deutschland kommt.