Wenn Eltern streiten

Fast jede zweite Ehe wird geschieden. Die Trennung ist meist ein langer Prozess, der von viel Streit und Kummer begleitet wird. Warum es für Eltern ganz besonders wichtig ist, richtig miteinander zu reden…

Die meisten Ehen werden nach fünf bis sechs Jahren geschieden. Genau in der Zeit, in der die Kinder noch klein sind. Es gibt viele Gründe, warum Eltern es nicht mehr schaffen, ein Paar zu bleiben. Dr. Martin R. Textor vom Staatsinstitut für Frühpädagogik nennt einige:

[quote]“Gründe sind Kommunikationsstörungen, unterschiedliche Werte, ein Auseinanderentwickeln der Partner, unerwartete Schicksalsschläge (Krankheit, Arbeitslosigkeit usw.) oder die Unfähigkeit, den Übergang von einer Phase des Familienzyklus zur nächsten zu bewältigen.“[/quote]

Doch im Vorfeld einer Trennung findet meist eine lange Enfremdung statt. Und sehr oft sehr viel Streit. Wieviel davon bekommen die Kinder mit? Anja (35) und Kerstin (39) berichten:

Streitende Eltern
Auseinandersetzungen und Konflikte bewältigen (© panthermedia.net Wavebreak Media Ltd)

Anja (Mutter von Felix (4) und Anouk (2)):
„Mein Mann Jens und ich waren schon seit zehn Jahren ein Paar. Wir haben viel gemacht, gereist, uns beruflich entwickelt, waren eigentlich immer unterwegs. Irgendwie blieb kaum Zeit für ruhige Momente. Als Felix geboren wurde, merkte ich, dass mir das zuviel wurde.

Jens machte seine Reisen allein, ging auf Feten und zum Snowboarden, Surfen und so weiter. Ich blieb lieber zu Hause. Als ich dann mit Anouk schwanger wurde, merkte ich, dass Jens und ich uns immer weniger zu sagen hatten. Ihn interessierten die Geschichten über die Kinder wenig, mich seine Sportgeschichten gar nicht. Die wenigen gemeinsamen Abende verbrachten wir meist schweigend vorm Fernseher. Als Anouk knapp ein halbes Jahr alt war, bekam ich ein tolles Jobangebot. Ich konnte im Home-Office wieder 20 Stunden arbeiten. Super, denn eine nette Tagesmutter hatte ich ja schon für Felix. Eigentlich hätte ich glücklich sein sollen.

Dann ging Jens zwei Monate ins Ausland. Und da wurde mir klar: So kann es nicht weitergehen. Ich merkte, dass er gar nicht mehr zu unserem Alltag dazugehörte. Ich vermisste ihn kaum. Als er wiederkam, wurde es schlimm. Wir schwiegen. Er war immer kurz angebunden, pampig und muffelte rum. Es gab nichts Gemeinsames mehr. Es herrschte Eiseskälte in meinem Herzen. Und die Kinder litten unter dieser Atmosphäre. Felix fing wieder an sich Nachts einzunässen, Anouk war wahnsinnig quengelig.

Jens war derjenige, der das Leiden dann beendete. Er zog aus. Heute wohnt er nur drei Kilometer entfernt und ist oft bei den Kindern, gerade auch wenn ich arbeite. Es geht uns allen besser. Das Lachen ist zurückgekommen.“

Kerstin (Mutter von Mina (5) und Katharina (4)):

„Meine kleine Tochter öffnete mir die Augen: Sie erzählte eines Tages ‚Mina und ich spielen bis zum Streit. Dann mach ich ihr ein Vertragensgeschenk und dann weint die nicht mehr und dann schreien wir erst wieder laut am nächsten Tag. Wie du und Papa.‘ Ich musste schlucken. Genauso war es.

Nils und ich stritten eigentlich jeden Tag. Irgendetwas war immer. Er regte sich darüber auf, dass die Küche nicht aufgeräumt war, die Kinder wären zu laut, ich hatte vergessen, das Zeitungsabo zu kündigen. Ich nahm ihn nur noch als negativen Schreier wahr. Und ich wehrte mich, beschwerte mich darüber, dass er den Müll nicht runterbrachte, über herumliegende Tennisschläger und nicht weggebrachte Schmutzwäsche.

Unser Alltag funktionierte. Aber nicht gut. Wie „normal“ unser Streiten für mich geworden war, habe ich erst gemerkt, als Katharina sich mit mir über das Streiten unterhielt. Als ich das Nils abends erzählte, wurden wir beide traurig. Wir wollten etwas ändern. Aber allein ging es nicht. Wir sind schließlich zu einer Paarberatung gegangen. Das hat wirklich geholfen, denn endlich konnte ich nur das Negative sehen, sondern auch, dass was ich an Nils schätze. Und Nils hat endlich begriffen, wieviel Arbeit ich im Haushalt habe und wie belastend es mit zwei kleinen Kindern sein kann. Natürlich streiten wir immer noch manchmal. Aber anders. Ich hoffe, wir sind auf dem richtigen Weg.“

Streit – vor den Kindern?

Kinder haben unsichtbare Antennen. Sie spüren, wenn ihre Eltern unglücklich sind und natürlich hören sie, wenn Eltern streiten. Es macht wenig Sinn Kindern immer eine heile und konfliktlose Welt vorzuspielen – wenn sie gar nicht gibt.

Auseinandersetzungen vermeiden zu wollen, wenn es unter der Oberfläche bereits heftig brodelt und kocht, macht aber auch keinen Sinn. Das wäre wie ein Schneeball, der den Hang herunterrollt – er wird immer größer und plötzlich wird man von einer Lawine erfasst. Das Gleiche gilt aber auch, wenn Kinder in Streitigkeiten einbezogen werden, die sie so gar nicht bewältigen können. Es gibt also keine goldende Regel, wieviel Zwist Kinder mitbekommen sollten. Es kommt meist auf die konkreten Umstände und die familiäre Situation an.

Aus Kinderperspektive betrachtet

Kinder bekommen Konflikte der Eltern immer mit. Eltern reagieren gereizt oder sprechen nicht miteinander, sie provozieren sich subtil. Papa ist weniger zu Hause und Mama weint oft. Kinder fühlen sich verunsichert und bekommen Angst. Manche ziehen sich zurück, andere werden agressiv oder versuchen die Eltern mit auffälligem Verhalten abzulenken.

Versuchen Sie die Auseinandersetzung aus der Sicht des Kindes zu sehen. Bricht der Streit aus heiterem Himmel aus, oder zeichnet er sich ab? Ist ständig Zwist und Zorn in der Familie? Fühlt sich das Kind verantwortlich, weil sein unaufgeräumtes Zimmer Anlass für einen Streit zwischen den Eltern gegeben hat?

Was, wenn die Eltern sich so wenig unter Kontrolle haben, dass Türen knallen, heftige Worte oder sogar Schläge vorkommen? Für Kinder wirken solche Situation anders als für Erwachsene. Unendlich bedrohlich. Sätze wie „Ich schmeiß dich raus…“ können zu Albträumen führen („Papa will Mama aus dem Fenster werfen.“). Auch Verlustängste der Kinder können so entstehen („Ich fürchte mich, weil ich meine Mama nicht verlieren will, weil sie immer sagt, sie geht jetzt weg und hat die Nase voll“).

Konfliktlösung

Konflikte entwickeln sich meist langsam. Gefühle wie Wut oder Enttäuschung werden unterdrückt, stauen sich an. Durch kleinste „Auslöser“ kann es dann zu einer offenen Explosion kommen.Wie ein tobendes Unwetter, unberechenbar und nicht mehr abzuschätzen, bricht alles zusammen. Ein stürmisches Gewitter, nach dem alles gut ist?

Meist nicht. Denn die eigentliche Unzufriedenheit wurde nicht gelöst. Und darin liegt die Brisanz. Denn der nächste „Auslöser“ eines Unwetters wird wieder kommen. Und das kann auch das unaufgeräumte Kinderzimmer oder das ausgekippte Milchglas sein. Schon finden sich Kinder zwischen den Fronten wieder.

Wenn Eltern merken, dass sie Beziehungsprobleme haben, dass es nicht wirklich schaffen über ihre Gefühle und Befindlichkeiten zu sprechen, sich vom anderen nicht wahrgenommen fühlen oder einfach unglücklich sind, dann sollten sie sich Hilfe holen. In jeder Stadt gibt es auch kostenlose Beratungsstellen für Familien. Fragen Sie sonst ihren Hausarzt, er kennt die lokale Stellen, die helfen können. Konfliktlösung lässt sich lernen und so können Eltern auch Vorbilder für Kinder sein.

Angst, Gewalt, Macht und Demütigung sollten im Leben von Kindern – und auch von Erwachsenen – nicht vorkommen. Streitigkeiten können sicher nicht vermieden werden, aber man kann lernen, auch bei Spannungen achtsam und respektvoll miteinander umzugehen.

Buchtipp: Pöhmann, Simone; Roethe Angela: Streiten will gelernt sein: Die kleine Schule der fairen Kommunikation. Herder. 9,90 Euro.

Was meinen Sie, wieviel Streit dürfen kleine Kinder mitbekommen? Wie gehen Sie damit um?