„So und jetzt wieder auskuscheln!“ Die dreijährige Paula ist fertig mit ihrer Mittagspause. Da braucht sie die Bettdecke nicht mehr. Und das Gegenteil von Einkuscheln ist klar, oder? Es ist beeindruckend, wie Kinder das Sprechen lernen. Zwei- bis Sechjährige probieren sich an der neuen Fähigkeit noch aus, lernen täglich neue Wörter und erfinden auch welche hinzu. Diese Entdeckerfreude macht auch Eltern Spaß und zeigt, wie spannend Sprache und das Lernen und Spielen mit ihr sein kann.
Sprechen lernen – von Anfang an
Wann fangen Kinder eigentlich an Sprechen zu lernen? Die Antwort erstaunt viele. Von Geburt an. „Es sieht nur so aus, als ob Säuglinge sich den ganzen Tag nur mit Glucksen und Herumwackeln beschäftigen“, sagt Anne Cutler, Sprachforscherin am Max-Planck-Institut für Psycholinguistik im niederländischen Nijmegen. Babys lernen die verschiedenen Laute ihrer Muttersprache zu hören. Denn jede Sprache ist aus bestimmten Laute und Lautkombinationen – wissenschaftlich Phoneme- gebaut.

Das Kind lernt durch häufiges Hören, diese Phoneme von anderen Geräuschen zu unterscheiden. So erwirbt es die Bausteine, um mit Sprache umgehen zu können. Je häufiger Eltern mit Säuglingen sprechen, desto besser ist die Grundlage für das spätere Sprechen. Je mehr verschiedene lallende Laute ein sechs Monate altes Baby schon kann, desto besser ist es gerüstet für das eigene aktive Sprechen.
Studien haben gezeigt, dass Kinder Lernstoff brauchen, um sich sprachlich entwickeln zu können. Dies können Eltern mit häufigem Sprechen, Erzählen und durch Vorlesen geben. Hörspiele oder Fernseher können das sprachliche Miteinander allerdings nicht ersetzen, denn Kinder lernen die Sprache nur durch direkte Kommunikation.
Was ist Sprache?
Sprache ist vielschichtig. Es geht nicht nur um die gesprochenen Wörter, die ein Kind kann. Zur Sprache gehört ein vielschichtige Regelsystem, das sich Kinder nach und nach aneignen (Sprachkompetenz). So wird aus anfänglich einzelnen Wörtern langfristig ein richtiger Satz. Und das hört sich auf sehr lustig an. Wenn Kinder etwa anfangen, die Vergangenheitsform von Verben zu bilden (tanzen- getanzt), so wendet es sie natürlich so lange an (singen – gesingt) bis sie eine neue Regel begreifen. In diesem Fall das Erlernen der unregelmäßigen Verben.
Die vier Bereiche der Sprache
Sprache entwickelt sich in vier Bereichen: Aussprache (Artikulation), Wortschatz, Grammatik und Sprachverständnis. Am Wortschatz und am Sprachverständnis arbeitet man sein Leben lang. Mit etwa sechs bis sieben Jahren sollten Kinder Aussprache und Grammatik ihrer Muttersprache korrekt beherrschen.Die verschieden Sprachbereiche bedingen einander nicht unbedingt. Hat ein Kind beispielsweise Probleme mit der Aussprache kanne trotzdem in anderen Bereichen, etwa dem Wortschatzt, vollkommen altersgemäß entwickelt sein.
Aussprache
Aus dem Lallen des Baby formen sich gezielt zusammengestetzt Silben (da-da), die schließlich zu Worten werden und rasch zu kleinen zwei Worten Sätzen werden. Etwa wenn die Einjährige Lara auf einen Keks zeigt und “ Da ham“ sagt. Nach und nach bildet sich auch die Aussprache besser aus. Zwei- und Dreijährige lassen noch viele Laute aus (Nuffeltuch statt Schnuffeltuch) oder ersetzen sie durch andere (Tinder statt Kinder). Vierjährige sollten bereits Zischlaute und schwierige Konsonantenverbindungen (str-, spr-) beherrschen. Spätestens zum Schulanfang sollte alle Phoneme vorhanden sein.
Wenn Kinder Probleme mit der Aussprache haben, hat das oft körperliche Ursachen. Die Sprach- und Hörorgane müssen vollständig entwickelt sein, damit es gut sprechen lernen kann. Manchmal ist die Mundmuskulatur noch nicht richtig ausgebildet, so dass die Kraft und Koordination für bestimmte Laute nicht reicht. Auch mangelnes Hörvermögen – etwa nach einer Mittelohrentzündung – erschwert das Sprechenlernen. Wenn das Kind auf Ansprache zeitverzögert reagiert oder Unterhaltungen nicht folgen kann, sollte auf jeden Fall der Kinderarzt hinzugezogen werden. Kann ein Kind Laute nicht hören kann, kann es sie auch nicht lernen, sie auszusprechen.
Für die Lautunterscheidung ist auch die geistige Entwicklung wichtig. Ein Kind muss verstehen können, dass ein Laut einen Bedeutungsunterschied bewirken kann. Ein Kind muss aber auch begreifen, dass Lautunterscheidungen Bedeutungsunterscheidungen bewirken. „Tasse“ und „Tasche“ beispielsweise bedeuten etwas anderes und es kann zu Missverständnissen führen, wenn das Kind beides gleich ausspricht.>Hier sind die Eltern gefragt: Auch wenn sie verstehen, was ihr Kind möchte, sollten sie nachfragen, ob es etwas transportieren oder trinken möchte. Und darauf hinweisen, wie missverständlich die falsche Aussprache sein kann.
Wortschatz
Kinder sind Schwämme. Sie saugen neue Wörter nahezu auf. Sechsjährige, die im Schnitt 1.300 bis 1.400 Wörter kennen, haben in ihrem Leben etwa acht neue Wörter am Tag gelernt. Für Erwachsene ist das unvorstellbar.Ab dem Alter von etwa zwei Jahren explodiert das Wortwissen nahezu. Kinder lernen die Ich-Form, sprechen zunächst oft noch im Telegrammstil („Mama, du aufstehen“). Mit drei Jahren werden die Personal-Pronomen (du, ihr, wir usw.) beherrscht, mit vier Jahren Präspositonen (neben, bei, vor, unter usw.) auch Adjektive (weich, hart, kalt…) werden sicher angewandt. Mit sechs Jahren können Kinder in der Regel die ersten Zahlen und auch abstrakte Begriffe (gruselig, mutig, aufregend) verstehen. Wie gut sich der Wortschatz entwickelt, hängt von der Umgebung des Kindes ab. Forscher können belegen, dass Kinder, mit denen schon als Säugling viel gesprochen wurde, deutlich mehr Worte beherrschen und auch schneller abstrakte Begriffe lernen. Kinder, die viel sehen und das Erlebte erklärt bekommen – auch mit Bilderbüchern oder Geschichten – erweitern automatisch und spielerisch ihren Wortschatz.
Grammatik
Grammatik ist die Fähigkeit, die Wörter so zusammen zu fügen, dass sie richtige Sätze bilden. Wie Kinder es schaffen, intuitiv die Komplexität von Sprache zu beherrschen, darüber streiten Wissenschaftler. Viele Sprachforscher wie Noam Chomsky gehen davon aus, dass diese Fähigkeit den Menschen angeboren ist.Kinder erweitern ihre Grammtikkenntnis täglich mehr. Wenn sie eine neue Regel lernen, können sie sie auch auf ähnliche Satzstrukturen übertragen. Mit zwei Jahren können sie schon drei Wort-Sätze, mit drei Jahren ist der Gebrauch von Nebensätzen (wenn ich wieder zu Hause bin, esse ich eine Banane) selbstverständlich. Vorschulkinder sollten komplexe Sätze formulieren, in denen Zeit- und Mehrzahlformen richtig eingesetzt werden. Auch bei der Grammatik gilt: Je besser die Vorbilder, desto leichter fällt das Lernen. Grammatik muss nicht erklärt werden. Es reicht, wenn Sie selbst richtig sprechen, Geschichten vorlesen und Ihrem Kind immer wieder die Möglichkeit geben, gesprochene Sprache zu erfahren.
Kommunikationsfähigkeit
Die Literaturpreisträgerin Nadine Gordimer hat erklärt: “ Nicht das Werkzeug hat den Menschen zum Menschen gemacht, sondern das Wort. Nicht der aufrechte Gang und der Stock, um damit nach Nahrung zu graben oder zu kämpfen, machen den Menschen zum Menschen, sondern die Sprache.“ Kleine Menschen müssen erst lernen mit Sprache umzugehen, sie zu verstehen und richtig einzusetzten. Da hilft nur üben, üben und üben. Am besten mit Eltern, die gern auf das Kind eingehen und mit ihm zusammen gern kommunizieren.

Und wenn es Probleme gibt?
Wenn Sie als Elternteil das Gefühl haben, dass Ihr Kind nicht richtig hören oder sprechen kann, sollten sie mit dem Kinderarzt sprechen. Einfache Test können Aufschluss darüber geben, ob vielleicht organische Ursachen vorliegen. Manche Kinder fangen einfach spät an zu sprechen. Andere sind so genannte „Entwicklungsstotterer“, sie denken schneller, als sie sprechen können und verhaspeln sich. Dies Phänomen verschwindet meist von allein, vor allem wenn Eltern ruhig bleiben und dem Kind Zeit und Ruhe geben, sich ausdrücken zu können. Wenn Sie das Gefühl haben, dass Ihr Kind ernsthaftere Problemen hat, können Sie sich von Ihrem Kinderarzt an Spezialisten überweisen lassen. Sprachheilpädagogen, Logopäden oder Sozialpädiatrische Zentren helfen. Wichtig ist die rechtzeitige Hilfe, möglichst schon im Kindergartenalter.
Die sprachliche Entwicklung fördern
Spiel, Freude an der Sprache und viel gemeinsame Kommunikation von Anfang an- so werden Kinder am besten gefördert. Statt zu kritisieren und zu schimpfen ist es besser, Kinder positiv zu stärken. Wenn ein Wort falsch ausgesprochen wird, sollten Sie mit der richtigen Version des Wortes antworten. Ein Beispiel: Kind: „Ich Teddy holt!“, die Antwort des Vaters: „Ja toll, du hast alleine den Teddy geholt.“
Weitere Tipps für Eltern:
- Sprechen Sie klar und deutlich, langsam und verständlich.
- Wiederholen Sie Wörter und Sätze häufig.
- Ermahnen und verunsichern Sie Ihr Kind nie. Lassen Sie es nicht nachsprechen.
- Hören Sie geduldig zu, fragen Sie freundlich und interessiert nach, wenn Sie etwas nicht verstehen.
- Schaffen Sie eine gute Gesprächssituation: keine Nebengeräusche, keine Hektik, Blickkontakt.
- Verwenden Sie eine altersgemäße Sprache: nicht zu schwierig, aber keine Babysprache!
- Begleiten Sie Ihre Alltagshandlungen durch Sprache. Erklären Sie, was Sie tun.
- Wecken Sie Spaß und Interesse an Sprache durch Sprachspiele, Rätsel, Reime, Rollenspiele, Lieder etc.
- Lesen Sie viel vor.