Schwanger und Sex?

Eine Schwangerschaft ist aufregend. Und was bedeutet sie für den Sex? Länger, besser oder gar nicht? Ein medizinisches Verbot z.B. kann die Partnerschaft sehr belasten. Die Sexologin Ann-Marlene Henning hat Tipps für diese ganz besondere Zeit. Der Wichtigste: Nicht aufhören zu küssen..

liliput-lounge: Sex ist etwas wunderbares und auch sehr intimes, privates. Gar nicht so einfach darüber zu reden. Fangen wir doch einfach ganz direkt an: Wie verändert eine Schwangerschaft den Sex eines Paares?

Ann-Marlene Henning: Das ist sehr verschieden. Einigen Frauen ist ja am Anfang der Schwangerschaft sehr übel. Da haben sie selbstverständlich wenig Lust auf Sex. Aber wenn es ihnen wieder besser geht, spüren sie erste Veränderungen, ihr Körper wird runder, weicher und deutlich besser durchblutet. Meist im zweiten Drittel der Schwangerschaft. Dann haben viele Frauen deutlich mehr Lust und vielleicht sogar kräftigere Orgasmen. Das sollte man ausnutzten.

Schwanger und Sex? (© Thinkstock)
Schwanger und Sex? (© Thinkstock)

Und die Männer? Wie reagieren sie auf die Veränderung?
Manche sehen die Schönheit, die eine schwangere Frau ausstrahlt und erleben gemeinsam mit ihr eine sehr innige Sexualität in dieser Zeit. Und sind geradezu erfreut über die vermehrte Lust ihrer Frau! Es gibt aber auch Männer, die befürchten, dem Kind weh zu tun beim Sex. Selbst wenn sie wissen, dass das nicht passiert, haben sie eine innere Blockade, die sie hemmt. Andere sehen plötzlich ihre Frau mehr als eine Art ‚heilige Mutter‘ und Madonna. Auch dann fällt Sex schwer. Aber, wie es wirklich bei jedem Paar ist, ist so unterschiedlich, wie der Mensch selbst. Laut Untersuchungen sagen 70 bis 80 Prozent der werdenden Eltern, dass ihre Sexualität sich bessert.

Meist hört man ja eher, dass Männer mehr Sex wollen als Frauen.
Ja, aber das scheint in der Schwangerschaft nicht ganz zu gelten. Normalerweise liegt es an den Hormonen. Männer haben etwa zwanzig Mal mehr von dem Lusthormon Testosteron als Frauen. Und bei Ihnen hat das Hormon sogar einen positiven Einfluss auf Stress. Wenn ihr Testosteronspiegel steigt, fällt ihr Stress und sie entspannen sich dann. Und der beste Weg um das Testosteron steigen zu lassen, ist Sex.

Bei Frauen funktioniert das anders. Ihr Körper baut Stress mit einem anderen Hormon ab, dem  Oxytocin. Das ist dieses ‚Mutter-Erde-Hormon‘, dass auch beim Stillen ausgelöst wird. Und das auch Wehen auslöst. Aber keine Bange, erst so spät in der Schwangerschaft, wenn die Zeit eh reif für die Geburt ist.

Nur bei Risikoschwangerschaften sollte die Frau von Anfang an beim Sex auf den Orgasmus verzichten und der Mann sollte einen Kondom benutzen, weil im Sperma auch wehenauslösende Stoffe sind. Aber zurück zum Oxytocin: Auch Sex bewirkt die Ausschüttung dieses Hormons. Und Kuscheln, Streicheln und Reden. Gerade in der Schwangerschaft ist für Frauen Körperkontakt besonders wichtig.

Das hört sich aber so an, als ob es schon möglich ist, die Bedürfnisse zusammen zu stillen?
Ja, sicher. Paare sollten einander nicht für selbstverständlich halten, sondern aufeinander achten und vor allem – das ist ganz wichtig – nicht aufhören, sich zu küssen. Streicheleinheiten können so viel bewirken, eine liebevolle Umarmung kann so viel Ruhe schenken. Oft fällt es aber gerade Frauen schwer, die eigenen Bedürfnisse mitzuteilen. Aber das ist ein langes komplexes Thema.

Über das wir unbedingt sprechen müssen. Denn es interessiert ja nicht nur Schwangere.
Nein. Über die eigenen Bedürfnisse reden zu können ist nun wirklich für jeden Menschen wichtig. Und für eine gute Partnerschaft von ganz besonderer Bedeutung.

Aber vielleicht noch einmal zurück zu den Schwangeren. Im liliput-lounge-Forum erzählt eine Schwangere, dass sie aus medizinischen Gründen keinen Sex haben darf. Eine Diskussion entstand, ob sie nun ihrem Partner anders ‚helfen‘ soll. Was meinen Sie?
Ich würde ihm in jedem Fall helfen, ja. Nur gefällt mir das Wort „helfen“ nicht ganz so gut. Es ist ja keine medizinische Leistung! Aber durch den Sex wird sein Stress gemindert und sie kann dabei seine Nähe spüren. Wichtig ist aber, dass sie es macht, weil sie daran Freude hat. Weil es ihr Spaß macht, ihn zu erregen, seine Männlichkeit zu spüren. Sie kann seine Erregung als Kompliment sehen. Wenn sie aber das Gefühl hat, nur ‚Dienstleisterin‘ zu sein und alles als unangenehme Pflicht sieht, dann kriegt es einen schlechten Beigeschmack.

Für wen?
Für beide. Denn er wird schnell merken, dass sie unzufrieden ist. Frauen regulieren ihren Stress nämlich unbewusst mit Reden. Das schüttet Oxytocin aus und beruhigt. Leider kommt das dann aber als Nörgeln rüber. Sie wird zickig! 

Aber Reden ist doch wichtig?
Gemeinsame Gespräche und Humor sind wichtig, klar. Aber Männer und Frauen haben oft verschiedene Redebedürfnisse. Für uns Frauen ist das sehr wichtig, sich die Probleme von der Seele zu reden. Da muss man sich selbst glücklich machen und sich klar werden, dass manchmal die Freundin die bessere Zuhörerin ist. Beispielsweise bei der Frage ist, welche Babystrampler praktischer sind.

Ist denn Sex mit dicken Bauch überhaupt noch möglich – rein praktisch gesehen?
Sicher ist das ‚Löffelchen‘ dann die bevorzugte Stellung, wenn der Geburtstermin näher rückt. Aber erlaubt ist, was beiden gefällt und da sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt. Vielleicht ja auch ein guter Zeitpunkt mal neue Dinge auszuprobieren. Manchmal muss man dann selbst einfach lachen und auch das tut immer gut.

Schwanger und Sex? (© Thinkstock)
Schwanger und Sex? (© Thinkstock)

Viele Paare hören ja auch immer den Spruch ‚Genießt die letzen Tage zu zweit, das habt Ihr später nie wieder‘. Sollte das auch ein Grund für viel Sex in der Schwangerschaft sein?
Ich habe selbst einen Sohn und kenne diese Sprüche. Ja, das Leben ändert sich. Aber nicht nur die Eltern stellen sich auf das Kind ein, das Kind stellt sich auch auf die Eltern ein. Der große Unterschied zu vorher ist sicher, dass man weniger Zeit für sich selbst hat. Aber darum ist es besonders wichtig, sich um sich selbst und um die Partnerschaft zu kümmern. Und damit kann man natürlich schon in der Schwangerschaft anfangen und beispielsweise bestimmte Rituale wie gemeinsame Kinoabende oder Massagen einführen – wenn man die noch nicht hat. Denn so etwas erhält eben auch die Liebe.

Ann-Marlene Henning

Die Hamburger Sexologin ist vielen Fernsehzuschauer vom Grimme-nominiertem TV-Format „Make love“ bekannt. Die gebürtige Dänin studierte zunächst Neuro-Psychologie in Deutschland und später in Kopenhagen Sexologie. Heute berät sie Menschen zum Thema Partnerschaft und Sexualität in ihrer Praxis, in ihrer Sendung und in ihren Büchern. Mehr über ihre Arbeit und über die „schönste Sache der Welt“ berichtet sie auf ihrer Internet-Seite www.doch-noch.de.Mit viel Humor präsentiert sie auch seit kurzem garantiert schmuddelfreie aber handfeste Tipps für Frauen und Männer auf ihrem eigenen TV-Blog: www.doch-noch.tv.
Ihre Bücher „Make love“ und „Make more love“ sind internationale Bestseller.