Nele, die Daumenlutscherin:
Jede Nacht wacht Wiebke mindestens drei Mal auf. Ein lautes schmatzendes Geräusch bringt die junge Mutter um den Schlaf. Ihre Tochter Nele (7 Monate) nuckelt lautstark. „Seit zwei Monaten schläft sie nachts durch. Aber ich nicht mehr,“ sagt Wiebke. „Nele schiebt sich im Schlaf den Daumen in den Mund und schmatzt dabei wie eine Wilde.“ Tagsüber nuckelt Nele nicht, nur in der Nacht beruhigt sie sich gern. „Wir haben versucht, ihr einen Schnuller anzubieten, aber den lehnt sie ab,“ erzählt Wiebke resigniert. Bisher schläft das Baby noch mit im elterlichen Schlafzimmer. Doch nun soll sie umziehen. „Wenn sie im Kinderzimmer rumschmatzt, werde ich wenigstens nicht mehr wach,“ so Wiebke. „Sicher ist das nicht die beste Lösung, aber ich habe wirklich keine Ahnung, wie wir ihr das Nuckeln abgewöhnen sollen.“
Joel, der Schnuller-Liebhaber
Auch Joel (drei Monate) nuckelt reichlich gern. Allerdings am Schnuller. „Nervig ist, dass er anfängt zu weinen, wenn der Nucki rausfällt,“ berichtet seine Mutter Nadine. Sie ist unglücklich darüber, dass Joel so gern und soviel am Schnuller saugt: „Im Krankenhaus wurde ihm einfach so ein Stöpsel reingesteckt, den hatte die Oma mitgebracht und alle waren begeistert. Vor allem Joel selbst.“ Die frischgebackene Mutter hatte zunächst Sorge, dass der Schnuller zu Stillschwierigkeiten führen könnte. „Ich habe auch Angst um seine Zähne, denn ich habe gelesen, dass Schnuller den Gaumen verformen,“ meint Nadine.
Karla, die Verweigerin
Die Mutter von Karla (7 Monate) beneidet Mütter, deren Kinder am Daumen oder am Schnuller nuckeln. „Ehrlich gesagt finde ich, dass Schnuller einfach niedlich aussehen. Aber Karla mochte keinen Schnuller, egal ob aus Silikon oder Kautschuk, sie hat alle im hohen Bogen wieder ausgespuckt.“ An den eigenen Fingern oder an einem Tuch wollte die Kleine auch nicht lutschen. „Dafür wollte sie ständig an die Brust. Ich fühlte mich wie ein lebendiger Schnuller. Und wenn ich ihr den Busen verweigert habe, schrie sie schrecklich.“ Susann fühlte sich durch Karlas Saugverlangen extrem eingeschränkt. „Mein Mann konnte die Kleine überhaupt nicht beruhigen. Für mich waren die ersten Monate ziemlich schlimm. Es wurde erst besser, als Karla anfing Brei zu essen.“
Der Saugreflex ist angeboren
Jede der drei Mütter ist nicht besonders glücklich. Schnuller oder Daumen? Keines der Kinder hat sich nach den Wünschen der Mütter gerichtet. Nuckeln und Saugen sind angeborene Verhaltensweisen. Schon vor der der Geburt lutschen Ungeborene am Daumen, das ist ab dem 5. Schwangerschaftsmonat klar auf dem Ultraschall erkennbar. Dieser Saugreflex ist für Babys lebenswichtig, denn so können sie schon wenige Minuten nach der Geburt an der Brust ihrer Mutter trinken.
Jedes Kind hat ein unterschiedlich starkes Saugbedürfnis – einige möchten am liebsten immer an die Brust, andere bekunden durch Schmatzen ihre Lust auf Saugen oder Lutschen am Daumen.
Schnuller haben nicht nur Vorteile
Gerade wenn der Saugreflex besonders stark ist, kann der Schnuller Kinder beruhigen und Eltern entlasten. Durchschnittlich 60 bis 80 Prozent aller Kinder wird zwischen ihrem ersten und sechsten Lebensmonat ein Schnuller angeboten. Der Bund der Deutschen Hebammen rät dazu, Schnuller erst zu geben, wenn Säuglinge sicher und mit einem klar zu erkennenden Rythmus an der Brust trinken. Wird der Nuckel zu früh angeboten, entsteht bei etwa zehn bis zwanzig Prozent aller Neugeborenen sonst eine Saugverwirrung, die dazu führen kann, dass das Stillen nicht mehr klappt. Der Schnuller sollte daher in den ersten vier bis sechs Lebenswochen noch tabu sein.
Auch wenn Schnuller beruhigen können sollten Eltern von Anfang an darauf achten, dass der „Nucki“ selten zum Einsatz kommt. Nicht jede Unmutsäußerung sollte mit einem Stöpsel unterdrückt werden.
Dem Thema Schnuller sind viele Studien gewidmet. Die gute Nachricht: Schnuller in der Nacht sollen das Risiko des plötzlichen Kindstods (SIDS) senken. Wahrscheinlich, weil beim Lutschen die Rückenlage bevorzugt wird ode die Kinder weniger tief schlafen.
Langes Schnullernuckeln hat aber leider deutliche Nachteile. Kinder, die nach dem sechsten Lebensmonat auch tagsüber häufig am Schnuller lutschen, haben laut einer finnischen Studie deutlich öfter Mittelohrentzündungen. Ab dem zweiten Lebensjahr kann auch die Zahnstellung und die Zahnsubstanz deutlich geschädigt werden, erklären Fachleute.
Auch für die Sprachentwicklung ist das Dauernucken nicht gut. „Für das Sprechen werden 42 Muskeln beansprucht. Je länger sich ein Fremdkörper im Mund befindet, desto stärker werden diese durch die Automatisierung des Nuckelns umprogrammiert“, erklärt Dietlinde Schrey-Dern vom deutschen Bundesverband für Logopädie im „Standard“. Durch den Schnuller entwickeln sich unter Umständen die Muskeln der Zunge nicht richtig, Lispeln und andere Sprachstörungen können die Folge sein.
Experten wie Dr. Peter Voitl.erklären: „Ein Schnuller kann hilfreich sein, unbedingt notwendig für das Wohl des Babys ist er aber nicht!“ Zwischen dem zweiten und dritten Lebensjahr sollten Kinder auf jeden Fall lernen, auf den Schnuller zu verzichten. „Bis zu diesem Zeitpunkt kann das Wachstum des kindlichen Kiefers eventuelle Schäden nämlich noch ausgleichen – danach nicht mehr,“ so Dr. Voitl.
Wenn Babys am Daumen nuckeln, ist das harmlos
Die Trostalternative ist der Daumen. Dieses praktische Beruhigungsmittel kennt das Neugeborene oft ja schon. Der Daumen steht immer zur Verfügung und schmeckt einigen Babys einfach am besten. Einige Kinder nuckeln nur zum Einschlafen, und dann ist es kaum möglich, ihnen das Lutschen abzugewöhnen – und auch nicht nötig. Sobald der Nachwuchs aktiver wird und krabbelt oder spielt, hat sich das Daumenlutschen oft schon erledigt, denn das Kind hat einfach keine Hand frei!
Zahnarzt Dr. Wolf-Karsten Mayer erklärt, dass das Nuckeln am Daumen bis zum dritten Lebensjahr als harmlos und unkritisch zu betrachten ist. „Wenn das Kind aber länger am Daumen lutscht, kann es nicht nur aus zahnmedizinischer Sicht zu Problemen führen.“ Sehr langes Daumennuckeln kann zu schweren Zahn- und Gaumenfehlstellungen führen und auch die Sprachentwicklung sehr negativ beeinflussen. Das Abgewöhnen des Daumens besonders schwierig – er ist ja immer dabei. Dr. Mayer rät, dem Kind einen Schnuller in der kleinsten Größe anzubieten. Und diesen dann mit einem Ritual abzugewöhnen. Auch ein „Lutsch-Kalender“, auf dem das Kind für jede Nacht ohne Daumen eine Sonne gemalt bekommt, kann helfen.
Ohne Nuckeln geht es auch
Wenn ein Baby weder Schnuller noch Daumen mag, ist das für die Gesundheit des Kindes sicher am besten. Leiden Mütter jedoch unter dem Gefühl „ein Schnuller auf zwei Beinen“ zu sein, sollten sie sich bei einer Hebamme Rat suchen, denn sicher gibt es auch andere Tricks, die den Säugling beruhigen. Etwa das Tragen durch Papa, der nun einmal nicht nach Milch duftet. Für Frauen wie die Mutter von Karla hat sich immerhin das Nucklen mit dem Abstillen erledigt.
Für Schnullerkinder und Daumenlutscher ist das Abgewöhnen nicht einfach. Generell können Zahn-und Kinderärzten Eltern Tipps zur Entwöhnung geben, denn jedes Kind reagiert individuell.
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