Platz da?

Höflichkeit ist eine Zier. Doch scheinbar eine, die immer weniger verbreitet ist. Es ist beispielsweise gar nicht mehr selbstverständlich, dass Schwangere im Bus einen Sitz bekommen. Eine Studie zeigt die traurige Wahrheit…
Es war einer von diesen fiesen Tagen. Ich war im achten Monat schwanger, hatte schlecht geschlafen und war reichlich genervt. Es regnete und meine einjährige Tochter quengelte. Ich schob die Kinderkarre in den Bus hinein und setzte mich auf einen Klappsitz daneben. Plötzlich schrie mich eine ältere Frau an: „Das ist ja unverschämt. Sie machen sich hier ja breit. Jetzt muss ich mich in den Gang stellen.“ Mir fehlten die Worte. Und keiner der Mitpassagiere sagte etwas.
Zwei Tage später war ich alleine unterwegs. Dieses Mal war der Bus richtig voll. Mir war etwas übel. Jeder blickte an mir vorbei. Ich hielt mir meinen Bauch und versuchte nicht zu stolpern, als der Bus anfuhr. Keiner stand auf. Erst als ich eine junge Frau direkt ansprach, mit den Worten: „Dürfte ich mich vielleicht setzen? Ich bin schwanger und mir geht es nicht gut,“ stand sie auf.
Studie: Schwangeren werden selten Sitzplätze angeboten
Studie: Schwangeren werden selten Sitzplätze angeboten (© panthermedia.net, Marc Czieslick)
Ich dachte immer, dass dies Einzelfälle gewesen sind. Aber die Studie der englischen Website gurgle.com bestätigt leider diese Erfahrung. Es wurden 1000 Frauen befragt, wie ihre Erfahrungen im öffentlichen Nahverkehr waren. Das erschütternde Ergebnis: 84 Prozent der Schwangeren wurde im überfüllten Bus oder Zug kein Sitzplatz angeboten.
Es gibt sogar eine Erklärung für diese Rücksichtslosigkeit. Befragte Berufspendler begründeten ihr Sitzenbleiben damit, dass sie niemanden beleidigten wollten. Es sei ja sehr peinlich, wenn man aufstünde und die Frau mit dem runden Bauch dann empört „Ich bin überhaupt nicht schwanger“ zischen würde.
Tja. Das ist natürlich ein Problem. Bei „Global Press“ kann man daher nachlesen, woran man eine Schwangere erkennen kann: „So sind zum Beispiel das typische Bauch- oder Rückenreiben Anzeichen dafür, dass eine Frau schwanger ist. Ein Blick auf die Beine und Füße offenbart, ob sich dort Wasser angesammelt hat, wie es bei vielen werdenden Müttern der Fall ist. Außerdem ist bei ihnen der Bauch – zumindest im fortgeschrittenen Schwangerschaftsstadium – in aller Regel kugelförmig und prall. Dagegen sind “Rettungsringe” bei Übergewichtigen oft voneinander abgegrenzt.“ Alles klar? Damit die Umwelt eine Schwangere auch als solche erkennt, muss sie auch im Winter Sandalen tragen (damit jeder die Füße sehen kann) und hautenge Oberteile. Es soll übrigens auch werdende Mütter mit Rettungsringen geben.
Tatsächlich ist es einfach peinlich, dass nicht aufgestanden wird. Mit den Worten „Möchten Sie sich setzen“ wird doch niemand beleidigt. Und sooooo schwer kann es doch nicht sein eine dicke Frau von einer schwangeren Frau zu unterscheiden? Ganz ehrlich finde ich, dass sich in dem Höflichkeitsmangel eine gnadenlose Rücksichtslosigkeit zeigt, die für die allgemeine Haltung der Gesellschaft steht. Schwangeren wird kein Sitzplatz angeboten, sie werden in Warteschlangen selten vorgelassen und sind ja irgendwie selbst schuld, dass es ihnen nicht gut geht.
Mit Kinderwagen wird das leider auch gar nicht besser. Frauen, die mit einem weinenden Baby unterwegs sind, werden böse angeguckt, im Bus stehen schon so viele Gehilfen, dass Mütter mit Karre keinen Platz finden. In Nahzügen gibt es meist ein extra Abteil für Kinderwagen und Fahrräder. Wer es hier als Mutter wagt, zwischen den Drahteseln der Pendler sitzen zu wollen, muss sich auch blöde Sprüche anhören. Traurig.
Die einzige mögliche „Gegenwehr“ ist die Erziehung unserer Kinder. Zu freundlichen Mensch, die Rücksicht nehmen und auf andere achten. Das wird nicht einfach, bei diesen Vorbildern.
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