Frauen mit Kinderwunsch wissen heute Bescheid: Sie achten auf Jod und Folsäure, hören rechtzeitig auf zu Rauchen und trinken nur noch selten Alkohol. Denn in der Schwangerschaft ist etliches Tabu – zum Wohle des Kindes. Längst ist wissenschaftlich belegt, dass viele Krankheiten bereits im Mutterleib entstehen können: Diabetes, Depressionen und Herzkrankheiten sind nur einige davon.
Werdende Mütter sollen sich richtig ernähren, auf alles potentiell Giftige verzichten und genügend – alkohollfreies- trinken. Die amerikanische Wissenschaftsautorin Annie Murphy Paul hat nun ein Buch veröffentlicht. In „Origins: How the Nine Months Before Birth Shape the Rest of our Lives“ geht sie der Frage nach, wie das Verhalten der Mutter in der Schwangerschaft das Leben ihres Kindes prägt.
Entscheidet sich gleich nach der Befruchtung, wie das Leben verläuft?
Ein wenig unangenehm ist der Gedanke schon: Ist denn schon Hopfen und Malz verloren, wenn eine Mutter in der Schwangerschaft traurig war? Sind wir Mütter gleich nach der Befruchtung schuld daran, dass ein Kind später im Leben unglücklich wird?
Annie Murphy Paul hat jedenfalls Beispiele parat, die eher abschrecken: Sie fasst Studien zusammen, die die vorgeburtliche Prägung zeigen. Schwangere Frauen, die am 11. September 2001 das schreckliche Horroszenario mit erleben mussten, bekam nachweislich Kinder mit niedrigem Cortisolgehalt im Blut – das ist das Hormon, das Stress reguliert. Depressive Schwangere neigen zu untergewichtigen Kindern.
Dass die Psyche eines Babys schon in der Gebärmutter beeinflusst wird, ist allerdings nicht gänzlich neu: Eltern versuchen mit dem Ungeborenen zu kommunizieren oder testen, ob das Kind auf Musik reagiert.
Die Erkenntnisse von Murphy Paul fassen alle gängigen Studien zusammen. Und das Ergebnis ist eher erschreckend, auch wenn wir es alle schon ahnten. Schwangere müssen auf ihre Ernährung achten, sich bewegen, Umweltgifte und Katastrophen vermeiden – dann, aber auch nur dann, haben sie die Chance, dass ihr Kind gesund wird.
Zusammengefasst scheint es fast so, als ob Mütter eigentlich alles nur falsch machen können. Dabei sollen sie doch Stress vermeiden!
Die Autorin fordert, dass die Gesellschaft umdenken müsse, damit Frauen entspannter schwanger sein können. Aber reicht das? Ist so ein Rundumschlag nicht eher ein Grund, Frauen völlig unter Druck zu setzen?
Die pränatale Prägung schreibt die Richtung vor
Denn was passiert, wenn ein Kind krank ist, wenn es trotz sämtlicher pränataler Untersuchungsmöglichkeiten eine Behinderung hat, körperlich oder seelisch krank ist? Früher konnte man in so einem Fall an eine höhere Macht oder an das Schicksal glauben. Heute jedoch liegt es scheinbar in der Eigenverantwortung der Mutter, sich richtig um ihr Baby zu kümmern. Ist es nicht perfekt, hat sie versagt.
Die amerikanische Autorin will Müttern allerdings gar keine Angst machen. Denn wenn das Kind nun schon geboren ist, ist laut diverser Studien ja scheinbar alles zu spät. Diese Erkenntnis teilt Murpy Paul aber überhaupt nicht.
„Die pränatale Prägung schreibt niemanden den Lebensweg vor“, schreibt sie. „Sie zeigt uns zwar eine generelle Richtung, aber wir können entscheiden, welche Pfade wir beschreiten. Man kann das mit Wasser vergleichen, das flussabwärts strömt. Die vorgeburtlichen Einflüsse können einen Kanal graben, so dass das Wasser schneller fliesst, Seitenströme und anderes werden aber ebenfalls Einfluss nehmen.“ Das was wir im Mutterleib erleben, sei einfach wichtig, um uns selbst zu verstehen.
Tja, sollen wir uns nun also an unsere Mütter wenden und fragen, wie genau eigentlich die Schwangerschaft verlief? Wäre ich ein anderer Mensch, wenn meine Mutter früher erkannt hätte, dass sie schwanger ist? Denn meine erzählt heute noch gern, dass sie ziemlich lange schwer gehoben hat – und erst im vierten Monat erfuhr, dass ich an Bord war. Aber das ist wohl nicht ganz so schlimm…
Foto: © Daniel Laflor für istockphoto.com
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