Windelfrei

Einfach unglaublich oder einfach natürlich? In den USA schwören immer mehr Eltern auf die Idee, Babys von Anfang an ohne Windel zu erziehen. Auch bei uns ist die so genannte „natürliche Säuglingspflege“ in der Diskussion. Wie soll das eigentlich funktionieren – so ganz ohne?

Als Nicole* zum ersten Mal von der Idee des „windelfreien“ Säuglings gehört hat, war die 34jährige verwirrt. Wie bitte sollte das denn funktionieren? Ein Baby ohne Windel? „Mit meiner fünfjährigen Mia war das Windelwechseln immer ein Drama. Sie hatte Ekzeme und vertrug fast keine gängige Marke. Darum hat mich die Idee, es beim zweiten Kind anders zu probieren, begeistert,“ erklärt sie.

Vor allem im Internet und auch über Bücher informierte sich Nicole in der Schwangerschaft. „Es waren nicht nur abgedreht Ökomuttis, sondern ganz normale Eltern, die das auch ausprobiert haben. Am meisten gefiel mir, dass das Prinzip windelfrei nichts mit trocken werden zu tun hat. Natürlich pieseln Winzlinge, aber mit Zuhören und gemeinsamer Kommunikation geht das Ganze eben auch ohne Windel. Eine tolle Idee.“ Nicoles Mann war zunächst jedoch skeptisch.

 

windelfrei
Windelfrei von Anfang an: natürlich oder einfach nur anstrengend? (© panthermedia.net, Ulrich Münster)

 

Heute ist die kleine Katarina vier Monate alt – Windeln trägt sie tatsächlich nicht. „Für mich ist das einfach ein ganz besonderes Miteinander. Nach dem Aufwachen und immer dann, wenn ich ihre Signale sehe und verstehe, halte ich sie über das Waschbecken. Dabei zische ich immer ‚Zssss’, das macht Katie mittlerweile auch.“

Brauchen Babys Windeln?

Nein – Babys brauchen keine Windeln. Davon sind immer mehr Eltern überzeugt. Die so genannte „natürliche Säuglingspflege“ kommt aus den USA. Die Idee dahinter: In vielen Ländern und Kulturen der Welt wachsen Kinder ganz frei von Windeln auf. Die Eltern halten ihr Baby einfach ab. Dazu wird das Kind an den Oberschenkeln gehalten mit leicht geöffneten Beinen. Der Rücken des Babys liegt dabei am Bauch des Erwachsenen. Dabei wird ein ermutigendes Geräusch gemacht und dann gewartet, bis das Kind sein großes oder kleines Geschäft erledigt hat.

Überzeugte Windelfreianhänger erklären, dass Babys früh ein natürliches Bedürfnis haben, trocken und sauber zu sein. Und dies zeigten sie sehr früh in sensiblen Phasen. Sie weinen oder machen ein Geräusch bevor sie ausscheiden. Wenn Eltern aufmerksam genug sind, können sie sehen, dass ihr Kind sich erleichtern möchte.

Das Abhalten lernen Eltern zusammen mit ihrem Kind am leichtesten direkt in den ersten drei Monaten nach der Geburt. Wenn Säuglinge in diesem Alter gemerkt haben, dass keiner auf ihre Signale reagiert und sie eine bequeme Windel umhaben, verlieren sie die Fähigkeit, ihre eigenen Ausscheidungsbedürfnisse mitteilen zu können.

Entscheidend für eine windelfreie Erziehung ist ein enger Körperkontakt, Stillen nach Bedarf und gemeinsames Schlafen im Familienbett, um die Signale des Kindes möglichst gut wahrnehmen zu können – so jedenfalls die Theorie.

Vor- und Nachteile

Die Vorteile der windelfreien Erziehung sind der enge Kontakt, die intensive Kommunikation und die Bewegungsfreiheit des Kindes.
Natürliche Säuglingspflege bedeutet, dem Kind zuzuhören und auf seine Bedürfnisse einzugehen. Das Kind erlebt viel Hautkontakt zu den Eltern und eine größere Bewegungsfreiheit ohne dickes Paket zwischen den Beinen. Umweltschonend und kostengünstig ist diese Variante auf jeden Fall.

Gleichzeitig ist es natürlich sehr zeitintensiv, auf die kleinsten Signale zu achten, nicht immer kommuniziert das Kind eindeutig und natürlich geht auch etwas daneben. Gerade unterwegs oder bei kaltem Wetter ist daher immer viel Wechselwäsche oder eben doch eine Notfallwindel oder eine spezielle „Trainerhose“ (mit Verstärkung im Schritt) nötig. Windelfreie Kinder werden am besten im Tragetuch transportiert, denn dies kann unkompliziert gewaschen werden.

Ein weiterer Nachteil ist auch, dass die gängige Babywäsche oft sehr unpraktisch ist (Strampler, Latzhosen, Bodies). Besser sind Unterhose und Unterhemd und Zweiteiler (Hose und Pulli statt Anzug).

Und noch etwas ist nicht immer einfach: Viele reagieren eher ablehnend und skeptisch auf Eltern, die ihr Kind ohne Windeln erziehen möchten. Auch Nicole hat das erlebt: „Meine Familie fand das unmöglich. Sie meinten, ich würde das Kind zu früh drangsalieren und auf ein Pöttchen setzen. Dass es nicht um das Trockenwerden bei der natürlichen Säuglingspflege geht, haben sie einfach nicht begriffen. Und klar, manchmal ist es auch unangenehm, wenn etwas daneben geht und nicht nur das Tragetuch, sondern auch meine Klamotten etwas abkriegen. Aber das passiert nur selten.“

Welche Signale senden die Kinder?

Die Signale sind von Kind zu Kind und selbstverständlich von Alter zu Alter anders. Neugeborenen werden unruhig und zappelig, kneifen die Beine zusammen oder docken beim Trinken besonders eifrig ein. Oft suchen sie intensiven Blickkontakt

Ältere aktive Babys berühren ihre Beine, setzen sich ganz plötzlich aufrecht hin, krabbeln weg, halten im Spiel inne und suchen ebenfalls den elterlichen Blickkontakt. Später krabbeln die Kleinen meist alleine zu ihrem Töpfchen, machen durch die erlernten Geräusche auf sich aufmerksam oder strecken die Arme aus wenn man sie fragt, ob sie müssen. Die meisten windelfreien Kinder sind um den ersten Geburtstag herum zuverlässig sauber und zeigen ihren Eltern auch nachts ganz deutlich, dass sie müssen.

Wie funktioniert der Alltag?

Neugeborene werden über dem Waschbecken abhalten oder über einem speziellem kleinen Töpfchen („Asia-Töpfchen“). Wenn die Babys größer sind, können sie auf ein Töpfchen gesetzt werden oder auf die Toilette.
Nachts sollten sie sie auf einer Bettschutzeinlage oder einem dicken Handtuch – am Anfang im elterlichen Bett schlafen. Um nachts auch abhalten zu können, empfehlen sich Babynachthemden.

Der Alltag mit einem windelfreien Baby unterscheidet sich vor allem durch den sehr engen und intensiven Kontakt, davon sind die Anhänger überzeugt.
Doch natürlich gibt es auch Eltern, die diese Methode zunächst für sich wählten und dann doch nicht praktisch fanden. Auch solche Eltern kennt Nicole: „Für uns ist das Ganze toll. Meine Freundin hat es auch probiert, aber hat sich total unter Druck gesetzt gefühlt. Ich denke, dass muss einfach jede Familie für sich entscheiden. Zurück zur Windel kann man ja immer finden. Ich würde jedenfalls jedem empfehlen, es zunächst ohne Windel zu versuchen. Denn ich  finde, dass diese natürliche Kommunikation einfach unbeschreiblich schön ist.“

*Namen von der Redaktion geändert
Bild:©istockphoto

 

1 Gedanke zu „Windelfrei“

  1. Ich finde das wunderbar. Hab davon noch nie etwas gehört. Meine Tochter hat jetzt ihr zweites Kind bekommen und macht das Abhalten auch. Es funktioniert klasse. Ich durfte auch schon über Skype zusehen und war total fasziniert. Es klappt wirklich. Wenn ich das schon gewusst hätte als ich damals mein Kind bekommen habe (1985), dann hätte ich diese Art Baby ohne Windeln auch ausprobiert.

Kommentare sind geschlossen.