Traditionell wie zu jedem Jahresbeginn hat Papst Benedikt XVI. im Januar 21 Kinder von Vatikanmitarbeitern getauft. Dabei nahm er die Eltern „ins Gebet“. Sie sollten dafür sorgen, dass ihre Kinder eine solide religiöse Bildung erhalten. Der katholische Oberhirte ermahnte: Nennt eure Kinder nach biblischen Figuren – „als unverwechselbares Zeichen des Heiligen Geistes“. Familien seien „kleine Hauskirchen“, deren Mitglieder von der Taufe an durch ihren Namen als Christen gekennzeichnet seien.
Jamie, Dustin und Cheyenne gefallen dem Papst also nicht so sehr. Er selbst wurde ja auf den Namen Joseph getauft, seine Schwester hört auf den Namen Maria. Auch die Eltern Ratzinger hießen Maria und Joseph. Das dritte Kind bekam den Namen Georg. Ein Blick in die Archive verrät: Das waren auch in den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts eher ungewöhnliche Vornamen.
Geht das christliche Abendland unter, weil die Eltern bei ihrer Namenswahl immer kreativer und vielfältiger werden? Welche Rolle spielt Religion überhaupt bei den Überlegungen werdender Eltern, wie sie ihr Kind nennen wollen? Tatsächlich ein sehr geringe. Der beliebte Name „Mia“ ist eine Form von „Maria“ – also sehr biblisch. Auch „Lukas“, zweithäufigster Jungename, ist ein Name, der in der Heiligen Schrift zu finden ist. „Viele Menschen werden nicht wissen, dass sie einen religiösen Namen gewählt haben. Namen werden vergeben, weil sie einen schönen Klang haben“, erklärt Dr. Lutz Kuntzsch, der bei der Vornamenberatung der „Gesellschaft für deutsche Sprache“ tätig ist.
Immerhin waren 2009 ein Drittel der 30 beliebtesten Mädchennamen christlichen Ursprungs – bei Jungen lag die Quote nach Angaben der Gesellschaft für deutsche Sprache sogar bei 50 Prozent. Lea, Hanna, Lukas, Ben und Paul trifft man in fast jedem Kindergarten.
Das ist eine viel bessere Quote, als sie vor über 100 Jahren erzielt wurde. Denn der kleine Joseph Ratzinger, der später Papst Benedikt XVI. werden sollte, hatte auch keine Kinder mit biblischen Namen als Spielpartner. Die beliebtesten Vornamen 1927 waren Ursula, Gerda, Helga, Günther, Hans und Karl. Gut, der Hans, der leitet sich aus Johannes, dem Täufer ab. Aber was ist mit Waltraud oder Siegfried? Die sind sicher nicht biblisch. Aber waren eben damals modern.
Ein paar Jahre später, unter den Nationalsozialisten, hatten deutsche Eltern keine Namenfreiheit mehr. „Nichtdeutsche Vornamen dürfen für Kinder deutscher Staatsangehöriger nur zugelassen werden, wenn ein besonderer Grund dies rechtfertigt“, gab ein Runderlass von 1938 vor.
Diese Zeiten sind vorbei. Eltern haben ganz andere Freiheiten in der Namenswahl. Und viel mehr Phantasie. In Deutschland dürfen Eltern ihrem Nachwuchs nur bereits existierende Namen geben oder deren Variationen. Ein Vorname muss das Geschlecht anzeigen und das Wohl des Kindes nicht gefährden. Liest man einige kreative Namen, wie etwa Summer Angel, dann stellt sich allerdings schon die Frage, wo die Grenzen gezogen werden sollten.
In den USA sind Ortsnamen beliebt. Etwa Paris, oder Brooklyn. Kaum zu befürchten, dass diese Welle zu uns herüberschwappt. Wer mag sein Kind schon Bottrop oder Pinneberg nennen? Obwohl – ich kann mir vorstellen, dass Jena und Gera schon anfragt wurden.
Aber ja, ausländische Namen wie etwa Finn, Lasse, Svea oder Linnea sind genauso beliebt wie Darleen oder Pascal. Biblisch sind die gar nicht. Dem Papst dürfte ein Blick in Namensregister des katholischen Spaniens deutlich besser gefallen. Fußballnationalspieler Jesús Navas oder der ehemalige Ministerpräsident José Maria Aznar tragen wie Millionen ihrer Landsleute fromme Namen. Taufnamen wie „Asunción“ (Himmelfahrt), „Conceptión“ (Empfängnis) oder Dolores (Schmerzen) sind keine Seltenheit. Doch das verhindert nicht, dass auch in Spanien Pedro und Juan heiraten dürfen und viele andere „christliche Werte“ keine wichtige Rolle mehr spielen.
Ein Edikt des Papstes zur Namensgebung? Das braucht die Welt nicht. Tatsächlich interessiert es die meisten Eltern schlichtweg gar nicht. Ein kinderloser Herr von beinahe 84 Jahren meint, dass das Abendland verfällt, nur weil die Eltern ihren Kindern keine biblischen Namen mehr gäben? Das stimmt ja gar nicht, wie die Zahlen zeigen. Viele Namen sind biblischen Ursprungs. Allerdings werden die wenigsten Eltern ihre Mia nach der Heiligen Jungfrau getauft haben, oder? Wir jedenfalls haben die Namen unserer Kinder nicht danach gewählt, wo sie standen, sondern danach, wie sie zum Nachnamen passen und ob wir sie mögen. So einfach. Und so schwierig.
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