Vor gut zehn Jahren wurde ein Lob auf die Heimarbeit gesungen. ‚Teleworking’ sei ideal um Müttern den Einstieg ins Berufsleben zu ermöglichen. Familie und Beruf zu Hause unter einem Hut bringen? Eine schöne Idee. Im Zeitalter der digitalen Revolution arbeiten mehr Mütter tatsächlich zu Hause – selbstständige Journalistinnen beispielsweise. Oder Frauen, die ihr handarbeitliches Geschick in Online-Shops prima vermarkten können. Doch das Web 2.0 hat nicht nur die Arbeitswelt verändert.
Vor allem der Alltag ist ein anderer geworden. Früher waren einige junge Mamas ganz schön einsam. Einmal in der Woche gab es vielleicht ein Treffen mit der Krabbelgruppe – wer aber als einzige im Freundeskreis schon ein Kind hatte oder gar eher ländlich wohnte, war oft sehr allein mit dem Nachwuchs. Heute machen es die Facebook und vor allem viele Foren möglich, dass Mütter ihre Freundinnen immer bei sich haben.
Man hibbelt gemeinsam mit anderen Kinderwunschfrauen jeden Monat, begleitet sich durch die Schwangerschaft und freut sich, dass man nicht die einzige Frau ist, die fiese Schwangerschaftsstreifen hat und den Liebsten manchmal an die Wand klatschen möchte. Wo man früher höchstens den Frauenarzt oder die eigene Mutter um Rat fragen konnte, kann man sich an die Internetfreundinnen wenden. Oft entstehen so wirklich gute enge Freundschaften – auch im realen Leben. Manche Mütter sitzen viel an ihrem Laptop – oder schicken mit dem Handy ihre Nachrichten an Facebook.
Doch nun warnen Psychologen und Soziologen. Mit einem Blick über den großen Teich werden Horror-Szenarien ausgemalt: Die neue Generation der Internetmütter würde ihre Kinder vernachlässigen. Denn die Eltern seien nur noch körperlich anwesend und für die Kinder unerreichbar.
Ist Mama im La-la Land?
Sherry Turkle ist klinische Psychologin und Professorin für Soziologie am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Die amerikanische Wissenschaftlerin beschäftigt sich insbesondere mit Computern und den Wechselwirkungen zwischen Mensch und Maschine. Sie sieht die Beziehung zwischen Müttern und Kindern gefährdet. Mama sitzt im Wohnzimmer und schickt via Touchscreen-Handy oder PC Nachrichten in die Welt. Sherry Turkle: „Eine Mutter, die kocht, putzt oder die Wäsche macht, während das Kind spielt, ist nicht dasselbe wie eine Mutter, die sich auf einen Bildschirm konzentriert und irgendwo in der virtuellen Welt ist. Kinder wissen dann ganz genau: Mama ist im La-la Land.“
Auch in Deutschland sind kritische Stimmen zu hören: dass jemand räumlich anwesend ist, aber nicht ansprechbar ist, könne für Kinder traumatisch werden, erklärt Psychologe Matthias Petzold.
Diese neue Debatte scheint irgendwie sonderbar. „Mutti am Monitor“ wird verdammt. Eigentlich hat sie ja schon in der Schwangerschaft ihr Kind gefährdet. Denn mit Sicherheit hat sie ihre Foreneinträge via Handy gemacht. Ganz böse, denn Forscher der Universitäten Los Angeles und Aarhus fanden heraus, dass schwangere Frauen, die zwei bis drei Mal täglich ihr Handy nutzen, das Risiko einer kindlichen Verhaltensstörung um 54 Prozent erhöhten.
Frauenfeindliche Debatte über Mütter am Monitor
Seien wir ehrlich, natürlich birgt die virtuelle Welt eine Gefahr. Wer Treffen mit Freundinnen absagt, weil die Community im Netz wartet, sollte sich überlegen, ob die digitale Anbindung wirklich wichtiger ist als die im realen Leben.
Aber eigentlich ist diese Debatte nur eines: frauenfeindlich.
Aber eigentlich ist diese Debatte nur eines: frauenfeindlich.
Denn noch in den 90er Jahren sollten Frauen doch zu Hause bleiben und verstärkt Telearbeit machen. Peu a peu ermöglicht nun die neue digitale Welt eine bessere berufliche und private Vernetzung. Und gerade junge Mütter nutzen dies zum Austausch – aber auch verstärkt, um sich beruflich zu engagieren. Eine Plattform wie „Dawanda“ lebt davon, dass Mütter ihre Handarbeiten auf dem Onlinemarktplatz feilbieten können und immer mehr Frauen nutzen diese oder ähnliche Möglichkeiten.
Mütter erobern sich neue Arbeitsfelder, holen sich die Welt ins Wohnzimmer und bleiben dabei zu Hause. War es nicht genau das, was Experten wollten, die alle berufstätigen Mütter als Rabenmütter hingestellt haben? Aber Frauen machen es irgendwie nie richtig. Jetzt sind die Mütter zwar anwesend, aber nicht präsent genug.
Traumatisiert es Kinder wirklich, wenn die Mutter im Netz ist? Daran zweifele ich. Denn es gibt ja auch Mütter, die ständig telefonieren, fernsehen, bügeln oder putzen. Es ist doch nun wirklich nicht neu, dass bei der gemeinsamen Zeit mit dem Kind der Nachwuchs nicht immer im Mittelpunkt steht.
Mutti ist mal wieder schuld
Wenn ein Kind tatsächlich immer „so neben her“ mitläuft, ist das mit Sicherheit nicht gut. Aber das ist eben nicht erst so seit der Erfindung des Internets. Das ärgerliche an der Auseinandersetzung ist, dass Mütter wieder Schuld an allem haben. Kind verhaltensauffällig? Klar, Mami hat das Handy zuviel am Ohr gehabt.
Ärgerlich ist die Debatte, die Müttern ein schlechtes Gewissen macht, denn tatsächlich hat die neue digitale Welt auch viele Freiheiten gebracht. Nicht nur mehr Möglichkeiten Beruf und Familie zu kombinieren, sondern vor allem mehr Austausch. Junge Mütter können sich mit Gleichgesinnten austauschen und sich nicht mehr allein fühlen.
So eine Community im Forum kann eine schöne zweite Heimat sein. Dass sie nicht das zu Hause ersetzt, sondern nur ergänzt – das ist doch klar. So – und nun muss ich schnell mal ins Forum gucken. Ob Baby Linda schon da ist? Und was ist los bei den Hibbels?
Bild: © Jin fotolia-com