Das Lillifee-Syndrom

Kleine Mädchen sind von einem rosafarbenen Wesen infiziert. Prinzessin Lillifee darf in keinem Kinderzimmer fehlen. Doch was macht ihren Zauber aus? Und sollten sich Eltern wehren oder den Trend mitmachen?

Vor sechs Jahren (2004) schuf die Designerin Monika Finsterbusch für die Firma Coppenrath eine Figur, die mein Leben bestimmen sollte. Im gleichen Jahr war ich mit meiner Tochter schwanger – vielleicht erklärt das ihre Vorliebe für Lillifee?

 

Wer oder was Lilifee ist? Es ist eine kulleräugige, blondgelockte Figur – eine Prinzessin, die gleichzeitig eine Fee sein soll, deren magische Kräfte kleine Mädchen bis zum Grundschulalter in ihren Bann ziehen.

 

Lillifee ist ein wenig wie der märchenhafte Igel, der laut „Ich bin schon hier!“ verkündet. Lilifee ist überall. Meine Tochter und ihre Freundinnen träumen von Lillifee-Möbeln, Lilifee-Tapeten, Lilifee-Schulranzen und Lilifee-Glitzerschmuck.

 

Weit über 300 Lillifee-Produkte gibt es: Und manchmal habe ich das Gefühl, dass mindestens die Hälfte unser Kinderzimmer bevölkert – und die Garage. Denn dort steht das rosafarbene Lillifee-Fahrrad, das der Weihnachtsmann mit Omas Hilfe gebracht hat. Ansonsten gibt es Lillifee-Taschen, ein Lillifee-Utensilo, Lillifee-Glitzerstifte, Lillifee-Haarspangen, T-Shirts, Socken und einen Schlafanzug. Nicht zu vergessen einige Zeitschriften, Aufkleber, Stempel und zwei Bücher.

 

Im Gegensatz zu den Helden aus meiner Kinderzeit spielen die Bücher aber keine wichtige Rolle. Pipi Langstrumpf war ein starkes Mädchen, das mit seinem Witz die Erwachsenen in ihrer Welt manchmal ganz schön alt aussehen ließ. Auch Wickie und Biene Maja zeichnet sich durch clevere Ideen aus. Davon ist in den Geschichten von Lillifee nichts zu spüren.

 

Lillifee wohnt in einem Schloss, in dem sich alle lieb haben und keine materielle Not herrscht. Da gibt es Einhörner, sprechende Frösche und jede Menge Rosa, Blümchen und Glitzer.

 

Lillifee soll keine Probleme lösen oder erziehen. Erklärtes Ziel ihrer Erfinderin war es, eine positive mädchenhafte Traumwelt zu erfinden.

 

Besonders schöne Träume für die Industrie, blumige Träume voller Schmuck, Glimmernagellack und Lippenstift für die Mini-Mädchen. Und die Eltern? Die fragen sich, wieso der Prinzessinen-Hype so stark geworden ist. An Prinzessin Viktorias Hochzeit an diesem Wochenende kann es nicht liegen – denn die schwedische Thronfolgerin wirkt wesentlich bodenständiger als diese kleine Fee.

 

Sicher, dass kleine Mädchen in rosa gekleidet werden und von der Spielzeugindustrie umworben werden, ist schon zu Barbies und Baby Borns Zeiten so gewesen. Trotzdem ist es interessant, dass eine Prinzessin, die auch noch eine Fee ist, heute so im Mittelpunkt der Klein-Mädchen-Welt steht.

 

Einen Unterschied gibt es schon: Die enorme Menge der Produkte und die verschiedenen Lebensgefühle. Meine Eltern fanden Barbie schauderhaft und sexistisch. Gern erklärte mein Vater, dass die Puppe der Schwerkraft gar nicht gewachsen sei. Aber damals war die Mädchenwelt anders. Es gab eben auch Pipi Langstrumpf. Und mit den Barbies spielten wir die Welt der Erwachsenen in langen Szenarien nach – aber wir wollten nie Barbie sein uns so anziehen wie sie oder schminken.

 

Lillifee aber ist so niedlich und hübsch. Die Mädchen können sich wie sie schminken und sich dank ihr eine rosarote Traumwelt mit klebrigen rosafarbenen Muffins, Haarshampoo und allen nur erdenklichen Produkten aufbauen.

 

Müssen Eltern sich nun massiv Sorgen machen, wenn ihr Kind vom Lillifee-Fieber infiziert wird? Die Möglichkeit zu impfen gibt es nicht.

 

Ich denke es, gibt tatsächlich drei mögliche Antworten auf die L-Frage. Die Lillifee-Frage.
Die erste Möglichkeit wäre, dem Kind Lillifee und Co. zu verbieten. Doch ist dann nicht zu befürchten, dass das Kind ein Trauma bekommt und später als Erwachsene ein enormes Nachholbedürfnis hat? Lieber eine vierjährige im pinkfarbenen Glitzer-Outfit als eine 20jährige, sagen sich viele Eltern.

 

Die zweite Lösung könnte in einem glitzer-rosa-Vollrausch liegen. Bettwäsche, Teppich, Vorhänge und alles, was das Mädchenherz begehrt, in diesem Flamingo-Ton ausstaffieren. Bunte Klamotten weg, rosa her. Und jeden Abend ein paar Geschichten aus der Lillifee-Zeitschrift (die selbstverständlich abonniert wird). Hier wäre sicher eine langfristige Studie der Gesamtfamilie interessant. Wie lange halten Eltern das aus, ohne pinkfarbene Albträume? Oder wäre das Langzeitziel, dass Papa eines Tages mit einem Lillifee-Schlips zur Arbeit geht?

 

Wir haben uns ganz eindeutig für die dritte Lösung der L-Frage entschieden. Ja, unsere Tochter darf Lillifee-Fan sein. Die Oma darf ihr gelegentlich Zeitschriften mitbringen und Haarspangen und einiges mehr. Auch ein Fahrrad. Denn wir haben gemerkt, dass es zumindest für unsere Tochter, nicht darum geht, dass sie Lillifee sein möchte. Sie mag die Farben, den Glitzer und das Feenhafte. Aber sie mag auch Piraten. Neulich wollte sie eine Piratenprinzessin sein. Da wurden glatt ein paar Lillifee-Utensilien im Spiel ganz neuen Aufgaben zugeführt.

 

Nicht die kleinen Mädchen schaffen sich ihre rosafarbenen Traumwelten. Wir Eltern möchten unsere Kinder vor dem Elend schützten, das ist die Wahrheit. Klimakatastrophen, Wirtschaftskrise und andere Krisen – die sollen lieber nicht in den Kinderzimmern sein. In Lillifees Welt ist alles gut. Und so soll es bei unseren Prinzessinnen auch sein.

 

Hier liegt die Gefahr der Infektion: Ein bisschen rosa, ein bisschen tuffig, ist nett. Gleiches gilt auch für die Jungenwelt, die mit Piraten oder lieben Dinos geködert werden sollen. Wichtig ist aber, dass die Kinder eben nicht in eine heile Kindertraumwelt eingesperrt werden. Denn eines Tages brauchen sie vielleicht Witz und Schlagfertigkeit. Also ein paar Glitzersticker erlauben und Pippi Langstrumpf vorlesen. Die Kinder werden dann selbst sehen, wo der Unterschied zwischen den verschiedenen Traumwelten und der realen Welt ist.

 

Bild: Arte M, Lizenzmöbel von Kinderbuchhelden