Weihnachten naht. Das Fest der Liebe. Anja (32) aus Norderstedt freut sich irgendwie nicht so recht auf die Feierlichkeiten in der Großfamilie. Denn wie immer werden sie, ihr Mann und die zwei Söhne am ersten Feiertag bei Anjas Eltern erwartet. „Es war ganz schrecklich im letzten Jahr,“ sagt Anja. „Mein Bruder war mit seiner Tochter natürlich auch da. Und es war so offensichtlich, dass die Enkeltochter bevorzugt wird, Jana bekam ein Fahrrad und meine Söhne jeweils eine kleine Packung Lego.“
Wird ein Enkelkind bevorzugt, ist das auch für die Eltern verletzend
Es ist nicht der ungleiche Wert der Geschenke, sondern vor allem das offensichtliche Desinteresse, das Anja schlimm findet. „Meine Eltern kümmern sich viel um Jana. Sie übernachtet häufig bei ihnen und wird mit in den Urlaub genommen. Meine Söhne sind jetzt drei und fünf Jahre alt, aber sie wurden noch nie gefragt. Und ich merke, wie es sie verletzt.“ In der elterlichen Küche wurde Anja vor ein paar Tagen richtig wütend. „Ich sah ihren Kalender. Janas Geburtstag wird im Kalender dick angestrichen, am dritten Geburtstag von Tobias hatten sie offiziell keine Zeit. Und dann las ich da: Kegeln. Der Geburtstag war nicht mal eingetragen.“

Wenn Großeltern ein Enkelkind deutlich bevorzugen, ist dies nicht nur für die anderen Enkel, sondern auch für deren Eltern verletzend. Oft werden auch alte Wunden geöffnet, Anja beispielsweise fühlte sich selbst als Kind auch immer hinter dem Bruder zurückgesetzt. Wiederholt sich das eigene Erlebte? Wie kann es überhaupt sein, dass ein Kind bevorzugt wird?
Studie: Der Grund für Vorlieben liegt im Erbgut
Dass bestimmte Enkel bevorzugt werden, ist leider kein Einzelfall. Immerhin haben Forscher der britischen Cambridge Universität diesem Thema sogar eine umfangreiche Studie gewidmet. Das interessante Ergebnis: Großmütter ziehen die Töchter ihrer Söhne den anderen Enkeln vor.
Dies würde fast immer unbewusst geschehen und durch die DNA bestimmt werden, so die Forscher. Der Grund für die Vorliebe liege in der DNA der Omas. Je mehr Gemeinsamkeiten, desto mehr Liebe. Und da stehen mit 31 Prozent gemeinsamer Gene die Töchter des Sohnes ganz weit vorn auf der Beliebtheitsskala. Auf Platz Zwei: Töchter und Söhne der eigenen Tochter mit gut 25 Prozent Übereinstimmung. Schlusslichter sind mit 23 Prozent die Söhne von Töchtern.
Nur weil man verwandt ist, hat man nicht immer eine innige Beziehung
Es ist immerhin eine Erklärung, dass die Enkel bevorzugt werden, die Oma und Opa besonders ähnlich sehen oder ähnliche Verhaltensweisen haben. Natürlich hat man auch nicht zu jedem Menschen eine innige Beziehung, nur weil man verwandt ist. Wenn Großeltern und Enkel selten Kontakt haben, kaum Alltag gemeinsam erleben, haben sie oft auch nur ein distanziertes Verhältnis.
Und manchmal ist eben auch einfach keine logische Erklärung vorhanden, wenn die Oma das ruhige Kind, das so gern bastelt, dem wilden kleinen Toberich vorzieht. Wird sogar ein Geschwisterkind dem anderen vorgezogen, ist das für das benachteiligte Kind besonders schwer. Im Idealfall ist es nur eine Phase und Omas Zuneigung ist beim nächsten Besuch dem anderen Enkel mehr geneigt.
Wenn die Kinder sich verletzt fühlen, sollten Eltern sensibel sein
Für die Kinder ist eine eindeutige Bevorzugung verletzend. Sie können weder etwas dafür, dass sie Papas dunkle Haare geerbt haben, noch sind sie schuld daran, dass Oma und Opa 100 Kilometer weit weg leben. Wenn sie aber eine Bevorzugung spüren, ist die Botschaft klar: „Meine Familie mag mich weniger.“
Vor allem, wenn ein Geschwisterkind dem anderen deutlich vorgezogen wird, können Kinder Ohnmachtsgefühle und Aggressionen empfinden. Neid erschwert dann auch die Beziehung der Geschwister untereinander. Eltern sollten also sensibel auf das Thema reagieren und es sich nicht selbst schön reden.
Gespräche sind bei Konflikten wichtig
Wenn Eltern das Gefühl haben, dass sich Großeltern unangemessen verhalten, ist es falsch, die Gedanken herunterschlucken. Diese Probleme müssen angesprochen werden, auch wenn das schwer fällt. Diplom-Pychologin Helga Gürtler erklärt, dass gemeinsame Gespräche bei Konflikten besonders wichtig sind: „Wenn Eltern und Großeltern es fertig bringen, über unterschiedliche Sichtweisen zu reden, ist das für beide Seiten ein Gewinn. Das Verhältnis zwischen Eltern und Großeltern kann so von altem Ballast befreit werden – von Kränkungen vielleicht, die bisher nie ausgesprochen wurden.“

Lösungen finden
Vielleicht ist es der Oma gar nicht aufgefallen, dass sie viel öfter mit der Enkeltochter spielt? Vielleicht bevorzugt ja auch der Opa den Enkelsohn und Oma hat das Gefühl, keine andere Wahl zu haben? Solange Eltern das Thema nicht ansprechen, werden sie auch keine Lösungen finden.
Wichtig ist, dass die Kinder gleichbehandelt werden. Vielleicht kann auch ein Termin nur für ein Enkelkind gefunden werden? Auch Anja hat das Gespräch gesucht. „Die Sache mit dem Kalender war mir einfach zuviel. Als ich das meiner Mutter sagte, fiel die aus allen Wolken. Und dann gestand sie, dass sie meine Söhne oft als lärmendes kleines Doppelpack sieht.“ Anjas Lösung: Der älteste Sohn darf nun ein Wochenende alleine bei Oma und Opa bleiben. Wie nah sich dann Enkel und Großeltern kommen, das weiß sie noch nicht. „Aber immerhin achten meine Eltern vielleicht jetzt mehr darauf, die Enkel gleichzubehandeln. Versprochen haben sie es.“
Sind die Großeltern uneinsichtig, gibt es für die Eltern nur die Möglichkeit, möglichst wenig zu erwarten und eventuell den Kontakt so gering wie möglich zu halten. Unterbinden sollten sie ihn nicht, darunter würden die Kinder auch leiden. Mit etwas Glück wechselt die Zuneigung wieder und der wilde Kleine ist plötzlich interessanter als die präpubertierende Zicke. Und es gibt ja auch oft noch ein zweites Paar Großeltern.
Wie ist es bei Ihnen – haben Sie das Gefühl, dass die Großeltern ein Lieblingsenkelkind haben? Wie gehen Sie damit um?