Juliana nascht gern, liebt wilde Farbkombinationen und tolle Outfits – zu ihren Cowboy-Stiefeln möchte sie einen Glitzerrock tragen. Sie ist Frühaufsteherin, kann wunderbar trösten und ihre Familie mit ihrem Schuhtick („Och, diese Schuhe hatte ich doch schon gestern an“) manchmal ziemlich nerven. Juliana ist neugierig, schelmisch, manchmal anstrengend und bockig – und strahlt pure Lebensfreude und Energie aus. Ziemlich normal für ein Mädchen, das gerade 12 Jahre alt wurde.
Doch bei Julianas Geburt brach die Welt ihrer Eltern zusammen: Denn das kleine Mädchen hat ein Steinchen mehr im Chromosomenbausatz. Statt 46 Chromosomen hat sie 47 in ihren Zellen.

Die Diagnose: Trisomie 21, oder auch Down-Syndrom, benannt nach einem englischen Arzt, kam für Julianas Eltern völlig unerwartet, wie Conny Wenk im Interview mit liliput-lounge Redakteurin Silke R. Plagge berichtet. „Ich habe als nach meinem Studium als Personalleiterin gearbeitet, war glücklich mit meinem Mann und freute mich auf das Baby. Es war eine völlig unbeschwerte Schwangerschaft, ich habe meinen Job geliebt und wollte nicht so lange Babyzeit nehmen,“ erinnert sich die Mutter. „Ich kannte niemanden, bei dem die Schwangerschaft und Geburt nicht genauso unbeschwert waren und habe mir überhaupt keine Gedanken gemacht.“
Die Eltern wussten nicht, wie sie mit der Diagnose umgehen sollen
Als sie ihr kleines Mädchen zum ersten Mal im Arm hielt, dachte Mutter spontan, dass das Baby irgendwie anders aussehe. Gemeinsam mit ihrem Mann Martin genoss sie die ersten Stunden mit der Kleinen – und verdrängte die Sorgen. „Am nächsten Morgen stand die Kinderärztin mit betroffenem Gesicht an meinem Bett.“ Für Conny Wenk und ihren Mann war diese Diagnose völlig unerwartet. Drei Tage weinten die beiden. Sie wussten nicht, was auf sie und ihr Kind zukommen würde. „Eine Seelsorgerin hat uns dann ein uraltes Fachbuch gegeben. Da war die Rede von mongoloider Idotie und einer Lebenserwartung von 25 bis 40 Jahren.“ Ihre damalige Unwissenheit war für die Stuttgarterin in der Rückschau das Schlimmste. „Wir wussten einfach gar nicht, wie wir mit der Situation umgehen sollten. Auch sonst wusste das niemand. Keiner mochte uns zur Geburt gratulieren, keiner meldete sich bei uns. Nur mein Bruder freute sich von Herzen. ‚Na und? Dann ist sie eben anders,’ das war seine Reaktion.“

Conny und ihr Mann schicken eine Geburtsanzeige heraus: „Ich habe ein Chromosom mehr“ steht darauf. „Wir haben uns gesagt, dass wir einfach das Beste aus unserer Situation machen wollen. Aber das war am Anfang sehr schwer.“
Als ihre Tochter vier Monate alt war, hatte die junge Mutter ein Schlüsselerlebnis. Durch einen Tipp ihrer Frauenärztin bekam sie Kontakt zu einer Gruppe von Müttern mit Down-Syndrom-Kindern. „Ich hatte Frauen mit traurigen Augen und auffällige Kinder erwartet. Stattdessen begegneten mir Mütter, die Kuchen gegessen haben, mit Prosecco auf eine Beförderung anstießen und lauter kesse kleine Wirbelwinde mit witzigen Frisuren und coolen Cargohosen.“
Ein bisschen mehr, a little extra
Langweilige und dümmliche Kinder mit kummervollen Eltern – davon war gar nichts zu sehen, die ganze Gruppe war voller Leben und Lachen. „Diese fröhliche Selbstverständlichkeit der Kinder hat mein Herz gewonnen. Mir wurde klar, dass es für mich wirklich ein Bedürfnis ist, das Bild von Kindern mit Down-Syndrom zu ändern. Ich wollte der Welt zeigen, welch ein Glück so ein Kind sein kann.“
Die Hobbyfotografin begann, die Mütter aus der Gruppe mit ihren Kleinkindern zu fotografieren. Es sind Bilder voller Lebensfreude und Energie. Aus diesen Bildern entstand schließlich ein erstes Buch, ein Portraitband mit 15 Bildern und 15 Geschichten, später folgte ein Buch über Väter. Mittlerweile sind es sechs Bücher und dazu kommen jährliche Kalender „A little Extra“. Viele ihre Bilder sind in Magazinen und in Pressebeiträgen zu sehen. Conny Wenks aktuelles Buch hat den Titel: „Außergewöhnlich“, es stellt Mütter und Kinder vor, die besonders sind und selbst erlebten, dass ein Extra-Chromosom das Leben auch bereichert .Denn ein Chromosom mehr kann auch ein Mehr an Liebe, Glück und Lebensfreude bedeuten. Aus dem Hobby wurde für Conny Wenk ein Beruf. Sie arbeitetet heute als selbstständige Fotografin und fotografiert am liebsten Kinder: „Ganz egal, wie alt sie sind und wie viele Chromosomen sie haben,“ sagt sie und lacht.

Weltweit kommt auf rund 700 Geburten ein Kind mit Trisomie 21. In Deutschland werden die meisten Kinder von Schwangeren unter 35 Jahren geboren, denn die älteren Mütter erfahren oft durch Pränataldiagnostik, dass ihr Baby nicht so ist wie die meisten Kinder. Viele Eltern entscheiden sich nach so einer Diagnose für eine Abtreibung. „Das muss unendlich schwer sein, so eine Entscheidung treffen zu müssen,“ sagt Conny Wenk. „Ich bin froh, dass das ich das nicht tun musste.“
Als Juliana zwei Jahre alt war, wurde ihre Mutter wieder schwanger. „Die zweite Schwangerschaft war ganz anders. Die Angst war immer da. Ich habe mich zwar gegen eine Fruchtwasseruntersuchung entschieden, aber ich habe mich vor der Geburt und Dingen wie Sauerstoffmangel gefürchtet,“ sagt sie. Doch Nicolas, heute 9 Jahre alt, war gesund. Für ihn ist es ganz normal, dass seine Schwester anders ist. Die beiden toben gern zusammen. „Juliana ist ein Wirbelwind und quicklebendig, sie ist ein bisschen kleiner und ein bisschen langsamer als Gleichaltrige. Nico kennt auch andere Kinder, die besonders gefördert werden müssen.““Die beiden wachsen so auf, dass jeder andere Stärken und Schwächen hat. Einer kann schnell rennen, andere besser sprechen. Für die Kinder ist es nicht unheimlich, wenn jemand nicht so ist wie sie.“

Eine Vielfalt, die Conny Wenk sich auch für andere Kinder wünschen würde. Genauso wie die Information, dass „solche“ Kinder mit entsprechender Förderung schreiben und lesen lernen können und auch ein eigenständiges Leben führen können. „Immer wieder höre ich von Familien, die schlimme Reaktionen, auch von Ärzten, nach der Diagnose erlebt haben, und das finde ich einfach traurig.“
Aufklärungsarbeit ist Conny Wenk wichtig, denn sie selbst hatte vor Julianas Geburt kaum Informationen über das Down-Syndrom. Trisomie 21 ist keine Krankheit, sondern eine Genveränderung. „Ich möchte mit meiner Arbeit zeigen, dass die Kinder sich überhaupt nicht von anderen unterscheiden. Sie sind witzig, sehr sensibel und haben oft ein hinreißendes Lachen. Nicht die Kinder haben das Problem, das hat die Gesellschaft.“ Es ist die Angst vor dem Unbekannten, die Uninformiertheit, die viele Leute so verunsichert, meint Conny Wenk.

Bilder, die eine Liebeserklärung an besondere Menschen sind
Wer die Bilder der Fotografin sieht, spürt, dass sie eine Liebeserklärung an das Leben sind. An starke Eltern. Und an Kinder, wie Juliana, Malin oder Sontje-Lucia, ein Name der kleine strahlende Sonne bedeutet. Ein besonders passender Name, denn die Kinder auf Conny Wenks Bildern sind Sonnenschein-Kinder. Es sind Kinder, die gern und ansteckend lachen. Kinder, die ihre Eltern umarmen können und viel geben können.
Ihrer Tochter verdankt Conny Wenk, dass sie aus ihrem Hobby eine Berufung und einen Beruf gemacht hat. „Meine Tochter hat mir das wertvollste aller Geschenke gemacht: eine magische Brille. Ich habe durch sie die Welt mit anderen Augen sehen gelernt. Heute habe ich ganz andere Werte, kann kleine Dinge schätzen und ich habe gelernt, dass wahre Schönheit nicht im Äußern liegt. Jeder Mensch hat etwas Schönes und ich bin dankbar, dass ich das mit dem Herzen sehe.
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Die Fotografin und Autorin Conny Wenk hat den Verein „46Plus -Down-Syndrom Stuttgart e.V.“ mitgegründet. Für dessen Kalenderprojekte porträtierte sie Kinder mit Down-Syndrom und prominente Persönlichkeiten. Conny Wenk wurde 20111 für ihren Einsatz für Menschen mit Down-Syndrom vom Deutschen Down-Syndrom InfoCenter der Preis„Moritz“ verliehen. Der aktuelle Kalender „A little extra“ ist im Buchhandel erhältlich, ebenso wie ihre Bücher. Aktuell erschienen: „Mutmach-Block: A little extra – Fotografien von Kindern und Jugendlichen mit Down-Syndrom“ und „Außergewöhnlich“, 2013 im Neufeld-Verlag.
Weitere Informationen:
www.connywenk.com
www.connywenk.com/blog
www.alittleextra.de
www.46plus.de


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Die lachen aber süß. Gute Entscheidung jedem Kind eine Chance zu geben. Wer fürs Leben entscheided gewinnt doch immer 🙂
Sehr schöner Artikel und eine Geschichte, die sicher Vielen Mut macht.