Krippenplatz auf Ebay gesucht: 500 € Belohnung

Die Eltern von Marius (18 Monate) sind verzweifelt. Sie suchen dringend eine Betreuung. Mit einer Belohnung hoffen sie nun auf Hilfe. Mutter Monique erzählt, warum sie zu dieser ungewöhnlichen Methode gegriffen hat. Und wie die Chancen stehen, dass Marius einen Platz bekommt:

Hohenheida liegt am Leipziger Stadtrand. Erst 1997 wurde das kleine Dorf in die Stadt Leipzig eingemeindet, seinen eher beschaulichen Charakter hat es aber behalten. Hier wohnt Monique Müller (31) mit ihrem Mann und den vier Söhnen in einem ehemaligen Bauernhof. Doch die Mutter ist verzweifelt. „Ich suche dringend einen Krippenplatz für meinen Sohn Marius“, erzählt sie. Und zwar so dringend, dass sie eine sehr ungewöhnliche Anzeige bei Ebay schaltete: Sie versprach 500 Euro Belohnung, wenn ihr eine Familie einen Krippenplatz anbieten kann, die diesen eigentlich gar nicht braucht.

Marius braucht dringend eine Betreuung. Denn seine drei Brüder Alexander (10), Martin (9) und Maximilian (5) leiden unter Autismus. Martin besucht eine normale zweite Klasse, die anderen beiden Jungen sind zusätzlich geistig behindert und besuchen daher Fördereinrichtungen. „Als Geschwisterkind bekäme Marius im Kindergarten seines Bruders einen Platz, aber er ist ein ganz aufgewecktes, gesund entwickeltes Kind. Da kann er ja nicht eine Einrichtung, in der nur behinderte Kinder sind“, erklärt die Mutter.

Marius orientiert sich an den Brüdern

Sie findet es für die Entwicklung ihres jüngsten Kindes ganz besonders wichtig, dass er Kontakt zu anderen Kindern bekommt. „Vormittags sind alle anderen kleinen Kinder irgendwo in der Betreuung. Nachmittags kann ich nicht mit den vier Jungen alleine auf einen Spielplatz, denn alle vier müssen zu eng beaufsichtigt werden, das kann ich nicht leisten.“

Und so hat der 18 Monate alte Marius nur seine Brüder als Spielpartner. Vor allem am 5-jährigen Max orientiert Marius sich. Doch der geistig behinderte Bruder zeigt viele Verhaltensweisen, die für seine Erkrankung typisch sind: „Max kann stundenlang im Wohnzimmer stehen, dabei sich im Kreis drehen und vor sich hinsummen.“ Feste Rituale und immer wiederkehrende Handlungen sind für Autisten wichtig. „Marius schaut sich das Verhalten seiner Brüder immer mehr ab. Darum wäre es so wichtig, dass er auch mit gesunden Kindern spielen kann“, sagt Mutter Monique.

Der Vater arbeitet im Schichtdienst in einer Gießerei und kann die Mutter im Alltag daher wenig entlasten. „Ganz viel Unterstützung habe ich von meiner Mutter erhalten. Aber die ist am 14. Februar mit nur 54 Jahren an einem Herzinfarkt verstorben.“ Die Trauer über den plötzlichen Verlust belastet Monique Müller, trotzdem bleibt ihr keine Wahl, den Alltag der vier Jungs nun ohne weitere Hilfe organisieren zu müssen.

Ohne Betreuung verliert die Mutter ihren Arbeitsplatz

Ab dem 1. Juni möchte Monique Müller auch wieder in ihrem Beruf als Kassiererin arbeiten. „Aber ohne eine gute Betreuung für Marius ist das nicht möglich. Dann verliere ich den Job.“ Eine zusätzliche Belastung. Dabei hat die Familie ganz regulär rechtzeitig versucht einen Krippenplatz zu bekommen. Kurz nach Marius erstem Geburtstag im letzten Oktober meldete die Familie ihren Bedarf beim Kita-Portal der Stadt Leipzig an.

Mit Hilfe einer Internetplattform soll begehrten Betreuungsplätze gerecht verteilt werden. Eine Antwort hat Familie Müller bis heute nicht erhalten. „Wir überhaupt nichts vom Amt gehört und auch auf eine Email wurde nie reagiert“, sagt Monique Müller. „Auch eine weitere E-Mail blieb unbeantwortet. Am Telefon hat man mich nur vertröstet, dass alle Fälle abgearbeitet werden und keine Familie bevorzugt wird.“ Auch direkte Anfragen bei den Kindergärten mit Krippenplätzen brachten keinen Erfolg. Denn die Vergabe erfolgt über die Stadt.

Verschafft eine Belohnung den ersehnten Krippenplatz?

Monique Müller fühlt sich von der Stadt in ihrer besonderen Situation allein gelassen. Und beschloss eine ungewöhnliche Maßnahme: Sie schaltete eine Ebay-Anzeige und versprach 500 Euro Belohnung für die erfolgreiche Vermittlung eines Krippenplatzes. „Vielleicht gibt es ja eine Familie, die einen Platz hat, den aber gar nicht unbedingt braucht. 500 Euro sind für uns viel Geld, aber ich habe ja nichts zu verlieren gehabt mit dieser Anzeige.“

Tatsächlich haben sich sogar zwei Familien gemeldet, die ihren Platz abgeben wollen. „Daran merkt man ja schon, dass irgendetwas mit dem Vergabesystem der Stadt nicht stimmen kann“, meint Monique Mülller. Ob es überhaupt rechtlich möglich ist, einen Platz von Familie zu Familie zu tauschen, darüber hatte sie sich nicht informiert.

Auf Nachfrage bei einem der vielen Kindergartenträger wird deutlich, dass dies so nicht funktionieren wird. „Für 2011 haben wir lange Wartelisten, erst 2012 stehen wieder freie Plätze zur Verfügung. Wenn Eltern ihren Platz nicht nutzen möchten, dann rückt automatisch der nächste von der Warteliste nach. Das können doch nicht die Familien untereinander ausmachen! Der Vertrag wird ja mit dem Träger geschlossen.“

Auch das Jugendamt reagiert mit Unverständnis auf die Prämienausschreibung der Familie Müller. Der Fall sei durchaus bekannt. „Bei der Vielzahl der Anfragen ist es jedoch möglich, dass Frau Müller bislang noch keine Antwort von uns erhalten hat“, erklärt Petra Supplies, die zuständige Abteilungsleiterin beim Jugendamt in der „Leipziger Volkszeitung“. Es gebe andere Fälle, die zeitlich gesehen dringlicher seien. Denn Familie Müller brauche ja erst am Juni einen Platz.

Viele Eltern sind ähnlich verzweifelt

Zunächst hat das Amt auf journalistische Anfragen anders reagiert. Der „Bild“ sagte Petra Supplies noch: „Ist die Suche bis vier Wochen vor Arbeitsaufnahme der Eltern nicht erfolgreich, bieten wir auch persönliche Gespräche an. Ich habe noch nie gehört, dass jemand arbeitslos wurde, weil es keine Betreuung für das Kind gab.“

Diese Aussage der Amtsleitung findet Michael J. Busch, Vorsitzender des Stadtelternrates ohne Grenzen e.V. Leipzig, zynisch. „Leider ist das wirklich kein Einzelfall. Bei uns melden sich viele ähnlich verzweifelte Eltern. Natürlich gibt es für betroffene Eltern sehr wohl die Konsequenz, dass sie ihren Arbeitsplatz riskieren.“ Doch optimistisch kann er nicht in die Zukunft blicken.

„Es sind einfach nicht genug Plätze vorhanden und daran wird sich auch nichts ändern.“ Die verantwortlichen Politiker, so der Vorsitzende, sähen gar keinen Handlungsbedarf. „Die Zielvorgabe ist ja, dass 35 Prozent der Kinder unter drei Jahren betreut werden. Und diese Zahl wird in Leipzig ja erreicht.“ Traurig findet Busch, dass viele Eltern zu Einzelkämpfern werden. „Wenn sich alle Eltern zusammen tun und sich richtig wehren, würde vielleicht das Problem gesehen werden.“

Besondere Unterstützung für Familie Müller versprochen

Für den kleinen Marius Müller scheint die Beharrlichkeit und die ungewöhnliche Aktion seiner Mutter aber vielleicht doch dazu führen, dass er eine gute Betreuung bekommt. Denn Monique Müller bekam einen Termin für ein persönliches Gespräch auf dem Jugendamt. Der liliput-lounge teilte das Jugendamt Leipzig mit, das man um die Dringlichkeit des Falles wisse, da die Mutter noch drei weitere behinderte Kinder habe: „Das ist ein besonderer Grund, die Mutter auch in besonderer Weise zu unterstützen.“

Doch die Hoffung der Familie Müller auf wirkliche Hilfe wurde bei dem Termin nicht erfüllt. Vor dem Sommer würde man kaum etwas tun  können, auch wenn der besondere Bedarf gesehen werde.

Erfolg für Familie Müller

Die Aufmerksamkeit, die Monique Müller mit ihrer Kopfgeld-Aktion bekommen hat, war aber nicht umsonst. Im Gegenteil, die 500 Euro kann die Familie sparen. Das liegt sicher auch daran, dass viele Medien berichtet haben und wie die liliput-lounge bei den Trägern und diversen Institutionen nachgehakt haben.

Am Tag nach dem enttäuschenden Termin beim Amt kam der erlösende Anruf. Marius hat ab Mai einen Krippenplatz in einer Leipziger Kita der Arbeiterwohlfahrt. Die Eltern sind überglücklich. Sie haben das Geld, dass sie schon ausgeben wollten für die Vermittlung gespart und der Arbeitsplatz von Monique Müller ist gerettet. Und Marius? Der ahnt noch gar nicht, dass sich sein Alltag bald ändern wird und er das Lachen und den Trubel einer Krippe bald täglich erlebt!

 Fotos: von privat

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