Mit etwa einem Jahr halten die meisten Kinder ihre ersten Wachstifte in der Hand. Die ersten Kunstwerke entstehen völlig zufällig. Stift trifft Papier und Kind bestaunt das Wunderwerk aus der eigenen Hand. Doch schon die ersten Reaktionen auf dieses Erlebnis variieren von Kind zu Kind.
Einige Kinder haken das Malen erst einmal ab, effizient erledigt, auf zum nächsten Abenteuer. Andere Kinder hingegen können von Anfang an nicht genug bekommen. Eines der ersten Wörter meiner Tochter war „Maaln“ – die Begeisterung für alles Kreative ist bis heute geblieben.
Kritzeln, mit verschiedenen Stiften und Materialen arbeiten und der Phantasie freien Lauf lassen – das wünschen sich viele Kinder. Doch Erwachsene sehen in den ersten Kritzeleien oft keine besonderen Werke. „Das erste Gekritzel und Geschmiere solle nicht so einfach abgetan werden. Denn es ist ein toller Lernschritt des Kindes“, erklärt die Kunstpädagogin Jakobine Wierz. „Das Malenlernen, also das Festhalten von Wahrgenommen auf Papier, ist ein langwieriger und schwieriger Prozess und durchläuft bei allen Kindern verschiedene Phasen.“ Beim freien Malen und Zeichen machen Kinder nämlich wichtige motorische und sinnliche Erfahrungen.
Kinder stecken voller Phantasie und lieben es beim Malen Geschichten zu erzählen. Schon Zweijährige haben oft eine genaue Vorstellung dessen, was sie aufs Papier bannen möchten. Je älter Kinder werden, desto individueller werden ihre Zeichnungen.Zeichnung: Mama mit Hund; Künstlerin 4 Jahre alt |
Elterlicher Ehrgeiz kann hier leider sehr hinderlich sein. Sätze wie „Guck, mal so sieht eine Katze aus“, frustrieren Kinder.
Sie verstehen beispielsweise auch noch gar nicht, dass ein Vogel aus zwei Bögen gemalt werden kann, da sie in noch sehr einfachen räumlichen Visionen denken. Die meisten Kinder malen Menschen zunächst nackt und ziehen sie dann in Schichten an – einfach gleich ein Kleid zu malen, kommt ihnen gar nicht in den Sinn.
Wenn ein Erwachsener vormalt oder Kinder nur zum Ausmalen angeleitet werden, kann das sehr frustrieren. Schnell erleben Kinder ihre Zeichenkünste als nicht gut genug und scheitern an eigenen oder fremden Ansprüchen. Wer sein Kind zum kreativen Schaffen anregen möchte, kann seinem Kind vor allem eines schenken: Zeit und verschiedene Malmaterialen.
Womit macht das Zeichnen mehr Freude? Mit dem (abwaschbaren) Filzstift, mit Fingerfarben oder mit Tusche? Für die Kleinen ist es natürlich schöner, wenn die Eltern mit am Maltisch sitzen und zu gucken. Und möglichst nicht viel fragen. Denn Kinder erzählen von alleine. Als Erwachsener sehen sie vielleicht nur jede Menge dunkler Striche und einen roten Punkt. Für ein phantasiebegabten Vierjährigen ist das ein lieber Dino, der in einem dunklen Wald spazieren geht.
Und was passiert nach der Produktion? Nicht jeder Strich auf einem Blatt kann aufgehoben werden. „Aber es ist durchaus wichtig, die Werke der Kinder wertzuschätzen“, erklärt die Expertin Wierz. Wichtig ist auch, dass Kinder nicht miteinander verglichen werden. Vielleicht hat die ältere Schwester mit drei Jahren schon tolle Menschen gemalt – der jüngere Bruder kann dafür viel besser mit Lego bauen. Jedes Kind ist anders.
Trotzdem hier ein Überblick über zeichnerische Entwicklungsphasen von Kindern – die Altersangaben sind nur ungefähr, da die Entwicklungen sehr verschieden sein können.
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Mit einem Jahr beginnt das Kind mit Kritzeln. Es entdeckt, dass es selbst mit Stift etwas bewirken kann. Bis zum Alter von etwa 16 Monaten können Kinder nur absichtslose Striche zeichnen, erst dann können sie ihr Ellenbogengelenk so beherrschen, dass sie ‚Schwingkritzeln’ können.
Mit etwa anderthalb Jahren bekommt das Gekritzels einen ersten Inhalt. Die Erklärungen was das Bild darstellen soll wechseln aber noch sehr willkürlich. Oft möchten die Kinder aber schon etwas Bestimmtes darstellen. Langsam können sie auch Bewegungen aus dem Handgelenk und neigen dazu knäuelartige Gebilde auf das Blatt zu bannen. Dieses ‚Kreiskritzeln’ dominiert bis zum zweiten Geburtstag. Kinder haben in diesem Alter schon deutliche Lieblingsfarben. Zeichnung: Selbstportrait, Künstlerin 2 Jahre alt |
Zwischen zwei und drei Jahren folgen den Knäueln Spiralen, Kreise und Linien, die nicht mehr willkürlich sind. Oft entstehen dann auch die ersten Kopffüßler. In einem Kreis wird ein Gesicht gezeichnet, ein Bauch fehlt, aber dafür hat die kleine Gestalt Beine. Das Kind versucht immer mehr gegenständliches zu zeichnen.
Ab dem vierten Lebensjahr werden die Darstellungen komplexer und individueller. Kinder malen Bäume, Häuser, Sonnen und statten die Menschen mit Nasen, Mündern und Haaren aus. In diesem Alter erzählen Kinder besonders viel über das, was sie gerne abbilden möchten.Zeichnung: Selbstportrait, mit Mutter und Bruder; Künstlerin 3,5 Jahre altKinder ab fünf Jahren gestalten das ganze Bild – und alles steht meist in einer Beziehung zu einander. Die Sonne scheint und das Mädchen hat seinen Regenmantel im Haus, weil es nachher noch in den Kindergarten möchte. Kinder malen ihre Familie, Erlebtes und denken sich Geschichten aus. In diesem Alter sind Kinder aber auch sehr sensibel für negatives Feedback und genügen den eigenen hohen Ansprüchen nicht. |
Ab Schulreife, spätestens mit 7 Jahren, sprechen Experten von „Werkreife“. Kinder können die Darstellung nun ganz gezielt steuern. Noch immer malen sie aber „Röntgenbilder“ zeigen das Innere eines Hauses und Straßen perspektivisch von oben.
Zwischen acht und zwölf Jahren wird die Entwicklung abgeschlossen, Kinder können nun realistische Perspektiven wieder geben und beginnen andere Werke abzuzeichnen. Viele Kinder trauen sich plötzlich wenig zu und haben hohe Ansprüche. Die Freude am kreativen Gestalten verlieren viele Menschen auch leider noch immer durch den Schulunterricht.
Als Eltern haben Sie aber die Möglichkeit einiges an der kindlichen Freude an der Kreativität wiederzuentdecken. Gehen Sie gemeinsam auf künstlerische Entdeckungstour, in dem sie zusammen malen und basteln. Wenn schon so schöne Materialen im Haus sind, vielleicht haben Sie auch mal wieder Lust, Farben zu erleben?
Hier noch ein paar Ideen, wie Kindern und Eltern Kreativität Spaß macht:
- Kaufen Sie verschiedene Stifte. Wie funktionieren sie auf verschiedenem Material? Besonders zu empfehlen sind Woody-Stifte von Stabilo. Die dicken Stifte passen prima in Kinderhände und lassen sich als Wachsstifte verwenden – können aber auch mit Wasser genutzt werden
- Experimentieren Sie mit Musik. Wie malen wir, wenn wir Mozart hören, wie bei Rock Musik?
- Schreiben Sie auf, was das Kind über die Zeichnung sagt. Und notieren sie es später kurz mit Datum auf der Rückseite. So entsteht in einer Mappe eine wunderbare Dokumentation der Entwicklung und eine schöne Erinnerung
- Gehen Sie gemeinsam mit ihrem Kind in einen Laden für Bastel-und Zeichenbedarf. Womit möchte das Kind gern arbeiten? Und Sie selbst?
- An einer Magnettafel oder an einer Schnur können Sie die schönste Zeichnung der Woche aufhängen
- Kinderzeichnungen bieten sich auch bestens als Geschenke für die Verwandtschaft an. Gibt es etwas schöneres als einen selbstgestalteten Kalender oder eine Tasse?
Bild oben: ©istockphoto
Zeichnungen:©privat