Ein perfekter Sommertag im August 2009: um die 30° Celsius, wolkenloser blauer Himmel, eine leichte Brise. Ab ins Freibad mit den Kindern, drei eigenen und einer Nachbarstochter! Wir packten ein paar Kleinigkeiten zusammen (5 Handtücher, 10 Badeanzüge, Sonnenmilch in 3 Ausführungen, 4 Trinkflaschen, 10 belegte Brötchen, diverse Taucherbrillen, Bälle, Windeln, Babyspielzeug, Schnuller, Schwimmflügel, Lesefutter, Geld in zwei Währungen und die Ausweise – es ging in die benachbarte Schweiz).
Das Kreuzlinger Freibad liegt herrlich am Ufer des Bodensees, mit altem Baumbestand, einer ausgedehnten Baby-Wasserlandschaft, einem vielseitigen vorbildlichen Spielplatz, mehreren Becken für Kinder und Erwachsenen, und einer der größten Liegewiesen, die ich kenne. Toll, außer, wenn man seinen 3-Jährigen gerade nicht findet.
Doch der Reihe nach: Wir ließen uns auf der Wiese nieder, Baby Tosca lag friedlich im Kinderwagen, die beiden 8-jährigen Mädchen hüpften ins Kinderbecken, und der kleine Titus ließ sich brav die Schwimmflügel anziehen. Natürlich wollte er gerne auch ins 1,40 Meter tiefe Kinderbecken, wo verschiedene Rutschen und ein Wasserstrudel lockten. Mit Baby auf dem Arm war das ein nicht erfüllbarer Wunsch, wie ich bald feststellte. Einhändig einen kleinen, mäßig mutigen Nichtschwimmer und ein zappeliges Baby meistern zu wollen, war ein zu hoch gehängtes Ziel.
Drum begaben wir uns zur Babylandschaft. „Mama, das ist langweilig“, befand Titus nach 3 Minuten – das war also auch nicht das Richtige. Ich schlug vor, erstmal eine Brezel am unserem Platz zu essen, denn so langsam wurde mir auch der Arm schwer vom Tragen des Babys. Wir kehrten also zurück, nicht ohne den Mädchen Bescheid gesagt zu haben, und ich nestelte an der Brötchentüte. Titus biss lustlos von seiner Butterbrezel ab, und sagte dann „Mama, ich guck da mal unter die Brücke, ja?“.
Da ich gerade damit beschäftigt war, Tosca zu wickeln oder einzucremen, stimmte ich halbaufmerksam zu. Und ein paar Sekunden später sah ich meinen Sohn nicht mehr. Zuerst fand ich das nicht beunruhigend, nahm einfach Tosca und ging zu besagter Brücke, die den Bodenseeuferteil des Schwimmbades mit dem klassischen Freibadteil verband. Aber da war kein Titus.
Mir wurde heiß und kalt. Wie sollte ich unter geschätzten 4.000 Freibadgästen in der Hochsaison mein Kind wiederfinden, bevor es ertrank oder völlig verängstigt einen Heulkrampf bekommen würde? Sogar an Kidnapping dachte ich – ist der Kleine doch blond, blauäugig und herzallerliebst anzuschauen.
Könnte eine Durchsage beim Bademeister helfen? Nein, die würde Titus gar nicht hören. Und solange er sich wohlfühlte, würde ja auch niemand merken, dass er der Mutter abgehauen ist. Also beschloss ich, zuerst die Kinderbecken abzusuchen. Denn ans Bodenseeufer würde er doch hoffentlich nicht gegangen sein – und da wachte auch ein extra Bademeister. Quälende 20 Minuten lang versuchte ich mit 7 Kilo Baby auf dem Arm, im Gewimmel der Schwimmflügel mein Kind zu entdecken. Vergebens. Mir wurde flau, sehr flau. Mittlerweile halfen die beiden großen Mädchen beim Suchen und ich tat mich schwer, nicht in Panik zu verfallen.
Sollte ich meinen Mann anrufen? Aber der war im Büro, was sollte das nützen – ich würde ihn nur unnötig aufregen. Meine Gedanken drehten sich im Kreis. Ich sah mich als verwaiste Mutter, die ihres Lebens nicht mehr froh wird, und deren Ehe durch das Verschwinden eines Kindes unwiderruflich zerrüttet ist. Fürchterliche Bilder, die mich zu lähmen drohten.
Aber dann hatte ich Glück. Eine gute Bekannte lief mir über den Weg, die ehemalige Babysitterin Bea. Sie sah sofort, dass etwas nicht stimmte und bot Hilfe an. Zusammen mit ihr zu suchen bekämpfte die Panik, und nur 5 Minuten später hatte sie einen zappelnden, schimpfenden Titus auf dem Arm. „Wo warst du, Titus!? Du darfst doch icht einfach weglaufen, Mama hat sich schreckliche Sorgen gemacht!“, stieß ich unendlich erleichtert aus. „Auf dem Spielplatz“, sagte Bea, und ergänzte: „Er hat den Weg zurück nicht mehr gefunden“. Titus heulte mittlerweile, es war ihm doch recht unheimlich gewesen, fast eine halbe Stunde die Mama nicht zu sehen. Puha – wir gingen dann ziemlich bald nach Hause, das war Aufregung genug für einen Tag.
Was also tun, wenn ein Kind verschwindet?
99 Prozent aller vermissten Kinder werden laut Bundeskriminalamt (BKA) in kürzester Zeit wieder gefunden. Hier die wichtigsten Notfalltipps:
- Ruhe bewahren, auch wenn’s schwerfällt
- Hilfe holen – Bekannte, Personal (Kaufhaus, Schwimmbad, etc.), notfalls auch fremde Leute ansprechen
- Sich in die Lage des Kindes versetzen – wo würden Sie hinlaufen?
- Gefahrenquellen zuerst absuchen (Rolltreppen, automatische Türen, Ausgänge zur Straße)
- Negative Gedanken stoppen und sich aufs Suchen konzentrieren
- Telefonisch nachfragen zu Hause und bei Freunden: Könnte das Kind irgendwo hingelaufen sein?
- Bleibt das Kind verschwunden, sollten Sie die Polizei umgehend verständigen. Bei Kindern muss keine bestimmte Zeit vergangen sein, die Polizei kann Ihnen vor Ort helfen.
- Und präventiv: dem Kind bei Ausflügen sagen, dass es nicht weglaufen darf. Klingt simpel, hätte in diesem Fall aber geholfen
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