„Bin ich ein Rabenvater? Ich habe die ersten Minuten im Leben meiner Tochter nicht mitbekommen, das stimmt. Als ich im Krankenhaus im Flur stand, kam ich mir wie ein Exot vor. Dabei habe ich das gemacht, was Generationen von Männern bei einer Geburt getan haben und auch immer noch tun: Nichts.
Mit dem Unterschied, dass der moderne Vater in Deutschland eigentlich hilflos im Kreißsaal herumzustehen hat. Ich hingegen tigerte den Flur in der Klinik auf und ab. Bis ich dann von der Hebamme hinein gerufen wurde. Darauf folgte der schönste Moment in meinem Leben.
Aber zurück zu meinem Entschluss, den vielleicht Viele hier nicht verstehen: Meine Frau Maja und ich haben ein gemeinsames Wunschkind bekommen. Ich war auch brav beim Geburtsvorbereitungskurs dabei. Aber ich merkte immer mehr, dass ich das wirklich nicht will. Ich will nicht sehen, wie Maja leidet. Ich hasse Blut und Schmerz. Und das Gefühl der Ohnmacht. Ehrlich gesagt habe ich erst einmal ein paar Profis befragt: Befreundete Väter. Timo erklärte, dass die Geburt ganz toll gewesen sei. Nur als die Herztöne seiner Frau weg gewesen wären, sei es unheimlich geworden. Und Stefan? Der hat alles gefilmt und wollte mir fast eine gebrannte DVD in die Hand drücken. Die Geburt hat er selbst nicht so sehr gesehen. Er musste ja die Kamera bedienen. „Das ist ein einmaliges Erlebnis, da musst du mit“, erklärten sie. Warum das so ist, konnten sie nicht begründen.
Mein Vater war auch bei meiner Geburt dabei. Damals in den späten 70ern war er ein Vorreiter. „Nee, schön war das nicht. Die Geburt deiner Schwester war besser.“ Haha. Das half mir also auch nicht. Also machte ich mich im Internet klug. Der Erwartungsdruck an uns junge Väter steigt. Immerhin nehmen fast 90 Prozent der Väter an der Geburt teil. Ja, es gibt rührende Geburtsberichte. Aber auch ernüchternde Studien. Eine Studie der Uni Greifswald hat ergeben, dass der Schmerzmittelbedarf steigt, wenn die Väter im Kreißsaal dabei sind.
Väter können bei der Geburt nun einmal nicht wirklich helfen. Sie haben Angst um ihre Frauen und drängen eher zur Gabe von Schmerzmitteln. Das kann ich mir gut vorstellen. Ich bin einfach kein Mann, der Schmerzen anderer gut erträgt. Und ehrlich gesagt glaube ich auch nicht, dass ich Maja unterstützen kann. Denn ich habe Angst! So, jetzt ist es heraus: Ich habe Angst vor der Gewalt einer Geburt. Davor, dass meine geliebte Frau leidet und ich nichts tun kann.
Ich habe lange mit Maja darüber gesprochen. Wenn sie unbedingt gewollt hätte, wäre ich mitgegangen. Wollte sie nicht. Sie war froh, dass ich ehrlich war. Denn auch sie hatte Angst, dass sie sich nicht richtig fallen lassen kann, wenn ich dabei bin.
Aber sollte ich Maja einfach in der Klinik abliefern und nach Hause fahren? War es richtig, dass niemand ihre Hand hält? Unsere Tochter nahm mir dann die Entscheidung ab. Sie lag in der Beckenlage und hatte nicht vor, sich umzudrehen. Ein geplanter Kaiserschnitt wurde angesetzt. Dass ich da nicht mitkam, war ja klar. Ich begleitete Maja bis in den OP. Ich wurde schnell hinausgeschoben. Nicht, dass ich noch umfalle…
Es ging schnell. Nach einer gefühlten Ewigkeit und wahrscheinlich 15 Minuten durfte ich zu Frau und Kind. Das Gefühl war unbeschreiblich. So ein winziger fertiger Mensch. Nie habe ich meine Frau mehr geliebt als an diesem Tag. Nie mich hilfloser gefühlt. Als ich später unsere Eltern anrief um ihnen zu erzählen, dass Emilie nun da ist und alle beide wohlauf sind, konnte ich vor lauter Tränen nicht sprechen. Die beiden dachten sogar, dem Kind sei etwas passiert, weil ich am Telefon so schluchzte…
Wir wünschen uns ein Geschwisterchen für Emilie. Ich hoffe, dass ich dann auch Vaterzeit nehmen kann. Aber die Geburt, die werde ich nicht mit machen. Auch nicht, wenn es ohne Kaiserschnitt geht. Die Entscheidung habe ich nie bedauert.“
Bild:©iStockphoto
Protokoll: Silke R. Plagge
Protokoll: Silke R. Plagge
*Namen von der Redaktion geändert
Dieser Text erreicht die Redaktion für die Rubrik „Rabeneltern“. Mama und Papa können dort anonym bekennen, was sie alles nicht so machen wie im Lehrbuch….
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