Als Arthur vier Monate alt war, hatte er Durchfall und war ungewöhnlich blass. Doch der Kinderarzt sah, dass die Milz des Babys vergrößert war und überwies ihn sofort in eine Klinik. Die Diagnose: ALL, eine akute Form der Leukämie. Zunächst wird der Junge mit Chemotherapie behandelt. Die Nebenwirkungen sind Haarverlust, entzündete Schleimhäute und ein geschwollenes Gesicht. Arthurs Chancen stehen schlecht, etwa acht von zehn Säuglingsleukämien gehen tödlich aus. Chemotherapien allein werden Arthur nicht helfen, nur mit Hilfe von Spender Stammzellen, die die Blutbildung in seinem Körper übernehmen, könnte er überleben.
Arthurs Mutter Katharina erklärt in einem Interview der Zeitung Nido, dass sie gar nicht wisse, wie das damals ausgehalten habe. Schlaflosigkeit, die Angst, die ständige Unruhe. Sie musste Blutdruck messen, stillen und wickeln. Einen Babyalltag mit piependen Maschinen erleben. Das Schlimmste sei für sie die Vorstellung gewesen, einfach mit ihrem Sohn nach Hause geschickt zu werden. Wie macht man das? Wie begleitet man ein Baby in den Tod?
Arthurs Eltern wollen die Hoffnung nicht aufgeben. Das ist Schicksal, eine Prüfung, er wird nicht sterben, das habe er gedacht, erklärt Arthurs Vater Benjamin im gleichen Interview. Die Familie wendet sich an die Deutsche Knochenmarkspenderdatei (DKMS) und bittet um Hilfe. Fast 5000 Menschen kommen zu den sechs Typisierungsaktionen, mit denen potenzielle Stammzellenspender für Arthur gewonnen werden sollen. Der optimale Spender wäre ein Erwachsener mit möglichst 10 passenden Merkmalen. Fünf der Typisierten können tatsächlich Schwererkrankten das Leben retten – doch für Arthur wird kein erwachsener Spender gefunden. Die Zeit drängt, Arthur geht es schlechter. Mittlerweile hat er drei Chemotherapien hinter sich.
Dann kommt die erleichternde Botschaft: Im weltweiten Verbund der eingelagerten Nabelschnurblutpräperate gibt ein passendendes Präparat von einem italienischen Jungen. Bei diesem Transplantat stammen 8 von 10 Merkmalen überein.
Auf die gute Nachricht folgt die schlechte. Athurs geschwächter Körper hat zu wenig Abwehrkräfte, er bekommt eine Blutvergiftung und liegt auf der Intensivstation. Eine Transfusion mit dem Blut seines Vaters rettet ihn.
Nach sechs Monaten im Krankenhaus erholt sich Arthur vor einer letzten Chemotherapie zu Hause. Dann, im Juni 2009, werden die Spenderzellen aus Italien transplantiert. Vater Benjamin berichtet im Nido-Interview: „Eine halbe Stunde nachdem die Zellen in ihm waren, wurde der Himmel schwarz, es donnerte und gab ein seltsames Gewitter. Genau wie bei Arthurs Geburt.“
Heute ist Arthur drei Jahre alt. Es geht ihm hervorragend, wie die Familie auf ihrer Homepage berichtet, die damals helfen sollte, einen Spender zu finden. Arthur ist ein fröhlicher, aktiver und willensstarker Junge, der bunten Plastikautos liebt. Er spielt unbeschwert mit anderen Kindern und lacht gern. „Wir sind froh und dankbar, dass ein Wunder geschehen ist und Arthur trotz maximal schlechter Anfangsprognose lebt.“ Ab und zu schleichen sich noch Sorgen und Ängste in die Gedanken seiner Eltern, doch diese Momente werden seltener.
Fast jedes Baby kann ein Lebensretter werden
Rund 600 Kinder erkranken pro Jahr in Deutschland an Leukämie, vielen von ihnen kann geholfen werden – dank Stammzellenspenden. Die wenigsten wissen: Mit Nabelschnurblut können über 70 Krankheiten behandelt werden. Neben Leukämien sind dies vor allem Anämien, Immundefizienzen und angeborene Stoffwechselerkrankungen.
Genau genommen wird nicht das Blut selbst aufbewahrt, sondern die im Nabelschnurblut enthaltenen Stammzellen werden mit Hilfe der Krykonservierung in flüssigem Stickstoff eingefroren (Bild rechts). Stammzellen aus Nabelschnurblut haben die Fähigkeit neue Blutbestandteile zu bilden. Dr. Alexander Schmidt, Geschäftsführer der öffentlichen DKMS Nabelschnurblutbank erklärt: „Der große Vorteil der noch jungen Nabelschnurblutstammzellen ist ihre bessere Verträglichkeit. Normalerweise müssen die Gewebemerkmale von Stammzellspender und -empfänger identisch sein. Nabelschnurblutstammzellen hingegen tolerieren Abweichungen. Die Gefahr einer Abstoßungsreaktion beim Empfänger ist geringer.
Von der Nabelschnur in den Gefrierschrank
Die Entnahme dauert nur wenige Minuten ist völlig schmerz- und risikolos für die Spender. Denn das Nabelschnurblut wird erst entnommen, wenn die Geburt vollständig beendet und das Baby abgenabelt ist. Die Entnahme ist deutschlandweit möglich – in 150 Kliniken mit entsprechend geschultem Personal. Prinzipiell kann jedes gesunde Baby Nabelschnurblut spenden. Ausnahmen sind akute Infektionen zum Zeitpunkt der Entbindung oder einige chronische und genetische Erkrankungen der Mutter.
Nach der Entnahme wird das entnommene Präparat in einer Spezial-Transportbox unter kontinuierlicher Temperaturüberwachung durch einen Kurierdienst schnellstmöglich zur DKMS Nabelschnurblutbank nach Dresden gebracht. Dort werden in einem Labor, das nach internationalen Standards arbeitet, dann Aufarbeitung, Qualitätskontrolle und Lagerung durchgeführt. Um möglichst vielen Menschen weltweit helfen zu können, sind die gemeinnützigen Blutbanken global vernetzt.
Die öffentliche Nabenschnurblutbank hat es in Deutschland nicht leicht. Denn anders als etwa in Frankreich oder Italien sind auch kommerzielle Konkurrenten erlaubt. Die privaten Nabelschnurbanken lagern im Jahr im Schnitt mehr als 10 000 private Spenden ein und machen damit viele Millionen Euro Umsatz. Dr. Schmidt erklärt der liliput-lounge: „Viele privaten Anbieter instrumentalisieren die Ängste der Eltern für ihr Geschäft.“
Denn auch wenn die medizinischen Möglichkeiten immer weiter entwickelt werden – zum heutigen Zeitpunkt gibt es noch keine Behandlungsmöglichkeit mit eigenen Zellen. Daher zweifelt die Ethikgruppe der Europäischen Kommission schon 2004 an der Legitimität von privaten Nabelschnurblutbanken: „Sie bieten eine Dienstleistung an, die gegenwärtig keinen echten Nutzen auf therapeutischem Gebiet hat.“
Von einer kostenlose Spende profitiert die Allgemeinheit – und Leben können gerettet werden. Vielleicht das eines anderen kranken Babys, wie Arthur. Seine Eltern wenden sich in ihrer Homepage mit einem Aufruf an alle werdenden Eltern: „Spenden Sie das Nabelschnurblut ihres Kindes. Denn das kann wirklich Leben retten!“
Mütter, die Nabelschnurblut spenden, schenken gleich zwei Mal ein Leben Interview mit Dr. med., Dr. rer. Nat. Alexander Schmidt (43) Geschäftsführer der öffentlichen DKMS Nabelschnurblutbank liliput-lounge: Wie neu ist die Methode, die es möglich macht, aus Nabelschnurblut Stammzellen zu gewinnen? Dr. Schmidt: Die erste Transplantation von Stammzellen aus Nabelschnurblut wurde 1988 von Prof. Eliane Gluckman durchgeführt. Und seit wann gibt es in Deutschland die Nabelschnurbank der DKMS? Seit 1997 fördert die DKMS Deutsche Knochenmarkspenderdatei gGmbH die Einlagerung von Nabelschnurblut am Universitätsklinikum Dresden. Seit 2008 nun ist die Bank als gemeinnützige DKMS Nabelschnurblutbank ein eigenständiges Mitglied der DKMS-Familie. Welche Vorteile haben Spenderzellen aus Nabelschnurblut? Die Transplantationsrate nicht-eigener Stammzellen aus Nabelschnurblut wird weiter steigen. Ihre Vorteile liegen darin, dass die Gewebemerkmale weniger ausgeprägt sind und deshalb die Übereinstimmung der Merkmale zwischen Präparat und Patient nicht hundertprozentig sein muss. So können auch Patienten mit seltenen Gewebemerkmalen, die sonst keinen Spender finden würden, transplantiert werden. Auch die Abstoßungsreaktionen sind niedriger und die Transplantate schnell verfügbar Was halten Sie persönlich von privaten Einlagerungen? Viele privaten Anbieter instrumentalisieren die Ängste der Eltern für ihr Geschäft. Die Nabelschnurbluteinlagerung fürs eigene Kind ist keine „biologische“ Versicherung für den Notfall. Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es keine etablierten Therapieverfahren, bei denen eigenesNabelschnurblut zu einem späteren Zeitpunkt verabreicht wird. Auch zukünftige Anwendungen sind rein spekulativ. Von den weltweit rund zwei Millionen privaten Nabelschnurblutpräparaten, die kostenpflichtig eingelagert wurden, wurde nur in Einzelfällen Gebrauch gemacht. Von den rund 530 000 für die Allgemeinheit eingelagerten Präparaten wurden dagegen bereits über 21.000 transplantiert. Das sind Zahlen, die für sich sprechen. Worauf sollte Mütter, die spenden möchten achten? Wie alle Schwangeren sollten sie gesund bleiben, auf sich achten und sich auf die Geburt freuen. Und wenn man so eine lebensrettende Nabelschnurblutspende leistet und so vielleicht gleich zwei Mal Leben schenkt, ist das doch eine sehr schöne Sache. Wie können sich werdende Eltern über die Möglichkeiten und Grenzen von Nabelschnurblut informieren? Auf unserer Internetseite gibt es eine Liste mit allen Entnahmekliniken in Deutschland, bei denen eine Spende für uns möglich ist. Bundesweit sind es bereits über 150 Kliniken. Auf unserer Homepage unter www.dkms-nabelschnurblutbank.de und unter der Telefonnummer: 0351 – 4504555 |
Bild oben, mitte oben: © privat, hilfe-fuer-arthur.de
Bild mitte unten, Portrait Dr. Schmidt © DKMS
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