Langsam ist das Köpfchen immer mehr zu sehen. „Darf ich pressen?“ fragt die Gebärende. „Wenn Sie möchten, gern“, antwortet die Geburtshelferin. Ein Szene, von der geburts-unerfahrene Mütter träumen. Genauso soll sie nun auch für Kaiserschnitt-Mütter möglich sein.
Ganz neu ist die Methode nicht , der australische Gynäkologe Nick Fisk veröffentlichte in der Fachpresse schon vor fünf Jahren sein Konzept eines „natural Caesarean“. Mit diesem „natürlichen Kaiserschnitt“, den er in England praktizierte, wollte er Eltern und Kind zu einem besseren Geburtserlebnis verhelfen. Professor Wolfgang Henrich von der Berliner Charité, Leiter der Geburtshilfe, fand die Idee seines Kollegen beeindruckend. Nach über 23 Jahren Berufspraxis meinte er, dass Zeit sei, die Form des bisher praktizierten Kaiserschnittes zu ändern. Seit Anfang 2012 bietet er nun die „Kaisergeburt“ in Berlin an.
Wenig Minuten machen ein großen Unterschied
Der Unterschied zum bisherigen Kaiserschnitt ist in Minuten gerechnet nicht groß. Nur ein kleines bisschen länger als bisher dauert die „Kaisergeburt“. Doch es sind entscheidende Minuten. Die Gebärende bekommt keine Vollnarkose, sondern eine Spinalanästhesie – soweit nichts Neues, das wird oft praktiziert. Neu ist jedoch, dass Mutter, Vater und Kind den Augenblick der Geburt intensiv erleben können Denn wenn die Bauchdecke geöffnet ist, wird das sterile OP-Abdecktuch gesenkt, so dass die Mutter darüber blicken kann.

Jetzt kann sehen, wie die Ärzte sanft und vorsichtig das Kind aus ihrem Bauch holen. Wenn sie mag, darf sie in diesem magischen Moment auch mitpressen. Als erstes wird das Köpfchen des Babys so gedreht, dass sich Mutter und Kind direkt ansehen können. Dann darf der Vater – wie bei einer vaginalen Geburt – die Nabelschnur durchschneiden. Die Hebamme versorgt das Baby – und das Tuch wird wieder gehoben, denn die Operation ist ja noch nicht beendet, die Wunde der Mutter muss noch versorgt werden.
Mit der Kaisergeburt wolle man, so Henrich, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, „die natürliche Geburtssituation, soweit es möglich ist, simulieren.“ Blutige Skalpelle oder die offene Bauchwunde bekämen die Eltern nicht zu sehen, erklärt der Gynäkololge, der so dazu beitragen will, dass Frauen ein positives Geburtserlebnis haben. Denn die wenigen Minuten, die die Geburt verlangsamt sei und das Erleben, wie das Kind unter den Blicken der Eltern aus der Mutterhöhle gehoben werde, würden einen entscheidenden Unterschied ausmachen. „Die Unmittelbarkeit der Geburt“ werde den Frauen geschenkt. Henrich sieht auch positive Auswirkungen für das Bonding, die Beziehung zwischen Eltern und Kind und berichtet von einer schnelleren Wundheilung.
Ein Vorteil dieser neuen Methode: die Mütter erleben die Geburt unmittelbarer, sie sehen ihr Kind von Anfang an und bekommen nicht – wie es immer noch praktiziert wird – ein fertig gereinigtes angezogenes Kind überreicht, so beurteilen Befürworter der neuen Geburtsform die Methode. Die Unsicherheit „Ist das wirklich mein Kind“, könne gar nicht entstehen.
Wird so eine Kaiserschnitt-Operation verharmlost?
Doch es gibt auch viel Kritik. Susanne Steppat aus dem Präsidium des Hebammenverbandes warnt vor einer Verharmlosung der Operation. Genauso sieht das auch Margret Salzmann, die Vorsitzende des Hebammenverbands Schleswig- Holstein: „Die sogenannte Kaisergeburt ist eine Erfindung von Ärzten, um den Kaiserschnitt unter dem Vorwand des positiven Geburtserlebnisses zu rechtfertigen und Frauen schmackhaft zu machen“, sagt sie der Schleswig-Holsteinischen Zeitung. „Der Kaiserschnitt ist eine große Operation und nur für den Notfall da. Spielereien wie eine Kaisergeburt gehören nicht in die Geburtshilfe.“
Auch Ärzte sehen diese Form des Kaiserschnittes mit Skepsis. Prof. Dr. Alexander Strauss von der Frauenklinik der Kieler Uniklinik erklärt in einem Interview der SHZ: „Ich halte die Methode für bedenklich. Sie wird dem medizinischen Charakter des Kaiserschnitts nicht gerecht. Unsere Intention ist doch nicht, aus einem Kaiserschnitt ein schönes Familienereignis zu machen, sondern verantwortungsbewusst den Geburtsvorgang zu begleiten.“
Auch Frank Lowen, Professor am Universitätsklinikum Frankfurt am Main, übt im Namen der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) Kritik: „Bevor man an die Presse geht, sollte man seine Erwartungen und Hoffnungen untersuchen.“ Lowen hat weitere Bedenken. Er warnt davor, dass der Blick auf den geöffneten Bauch traumatisierende Folgen haben könne. Womöglich würden die betroffenen Mütter – und Väter – dieses Bild nie wieder los.

Kritiker sind sich einig, dass das Kaisergeburt die Realität verklärt. Ist wirklich alles so harmonisch, wie die Erfinder der Methode schildern? Wird hier nicht bei Eltern die Hoffnung auf ein schönes, sanften Geburtserlebnis geweckt, die eine Operation kaum erfüllen kann? Denn eine Sectio, das erklären Fachleute, ist nun einmal ein medizinischer Eingriff. Bei der Öffnung des Uterus entsteht ein erheblicher Blutverlust, dieses mische sich mit Fruchtwasser und sei oft kein schöner Anblick. Auch das Neugeborene sei zunächst oft sehr blutig. Wenn es Komplikationen bei einer Operation gebe, müsse alles sehr schnell gehen. Für die Eltern sei das eventuell dann sehr schwierig.
Und was meinen Mütter zur Kaisergeburt?
„Das ist Blödsinn“, erklärt Andrea aus Hamburg. Die 42-jährige hatte vor fünf Jahren einen geplanten Kaiserschnitt aus medizinischen Gründen. Sicher, sie konnte nicht sehen, wie das Kind aus ihrer Bauchdecke geholt wurde. „Aber Frauen, die anders entbinden, sehen doch meistens auch nicht, wie der Kopf unten herauskommt“, sagt sie pragmatisch. Auch Andrea hatte keine Vollnarkose, ihr Mann bekam sofort das Kind auf den Arm und trug es nah an den Kopf der Mutter. „Ich hatte soviele Monate lang schon Zeit eine enge Bindung aufzubauen. Und das mit dem Blickkontakt kommt mir komisch vor. Neugeborene können doch noch gar nicht soweit sehen.“ Viele Kliniken fördern auch nach einer Kaiserschnittgeburt auf den engen Kontakt zwischen Mutter und Kind – auch wenn sie darauf achten, dass der sterile OP-Bereich dank des Abdecktuches getrennt ist. Andrea hatte sich extra eine Klinik mit dem Siegel „babyfreundlich“ ausgesucht. „Selbst wenn ich doch eine Vollnarkose gebraucht hätte, mir war die gesamte Atmosphäre und ein Rooming-in wichtig. Und das wird doch in vielen Krankenhäusern praktiziert.“
Anders sieht das Ina. „Meine erste Tochter war ein Not-Kaiserschnitt. Vollnarkose und weg war ich“, erzählt sie. Nun ist sie wieder schwanger. „Mein Baby hat sich immer noch nicht gedreht. Ich hätte mir so sehr eine natürliche Geburt gewünscht, aber es wird wohl wieder ein Kaiserschnitt. Ich fände es schön, wenn ich so aktiv wie möglich dabei sein dürfte. Und den Moment, in dem das Kind hochgehoben wird, denn würde ich so gern erleben.“ Ina glaubt nicht, dass die Methode die Anzahl der Kaiserschnitte erhöht. „Freiwillig würde ich nie einen OP-Saal betreten. Wer unbedingt einen Wunschkaiserschnitt will, macht das doch sowieso. Für mich wäre so eine Geburt eine schöne Alternative.“
Ist die Kaisergeburt wirklich eine innovative neue Methode? Befürworter meinen das auf jeden Fall, in England wird die „natürliche Sectio“ häufiger praktiziert. Auf youtube gibt es zum natural caesarean („natürlicher Kaiserschnitt) auch einen Video-Clip zu sehen, in dem eine solche Geburt gezeigt wird:
Film über eine Kaisergeburt „The natural caesarean: a woman-centred technique“ (© reeltv)
Wir sind gespannt auf ihre Meinung, liebe Leserinnen und Leser. Tolle Idee oder völlig überflüssig?