Fehlgeburt – darüber reden?

Traurige Zahlen: Jede zehnte Schwangerschaft endet viel zu früh, etwa 30 Prozent aller Frauen erleben eine oder mehrere Fehlgeburten. Eine Betroffene erzählt, warum sie nicht still getrauert, sondern ihren Verlust auch anderen mitgeteilt hat…
„Schon lange wünschen wir uns ein Kind. Und nun war es endlich so weit: Ich war schwanger! Es war alles noch ganz, ganz frisch, als mein Mann Jens und ich bei unserem Lieblingsitaliener saßen. Als die Bedienung kam, war deutlich: Sie war ziemlich schwanger. „Wie weit sind Sie denn?“ fragte Jens. „Im siebten Monat,“ erklärte die Kellnerin. „Unseres kommt erst im nächsten Jahr,“ sagte Jens und sah vielsagend auf meinen noch völlig flachen Bauch.
Zuerst war mir das peinlich. Bis zur zwölften Woche sollte man doch lieber schweigen, oder? Auf jeden Fall hatte ich plötzlich mein erstes Gespräch von werdender Mutter zu werdender Mutter, bekam Tipps für eine Hebamme und für Vorbereitungskurse. Eine neue Welt eröffnete sich. Und weil dieses Gespräch im Restaurant so nett war und wir uns so sehr auf das Baby freuten, beschlossen wir, alle einzuweihen.
Über Fehlgeburt sprechen
Fehlgeburt – den Verlust mitteilen (© panthermedia.net Elena Ray)
Omas, Opas, die zukünftigen Onkel und Tanten und alle unsere Freunde und Nachbarn freuten sich riesig mit uns. Warum sollte auch etwas passieren, wir waren beide noch keine 30 Jahre alt, seit einem Jahr verheiraten und kerngesund. Aber etwa sieben Wochen später sah alles anders aus. Eine Woche lang hatte ich schwere Unterleibskrämpfe und immer wieder Blutungen – keine schweren, aber immer wieder regelmäßige.
Schließlich ging ich zu meinem Frauenarzt. Ich machte mir kaum Hoffnung auf eine gute Nachricht. Und damit hatte ich leider recht, denn ich hatte das Baby verloren. Drei Tage später fand ich mich in der Frauenklinik wieder – zur Ausschabung. Das war wirklich schlimm. Als ich aus der Narkose aufwachte spürte ich nur dunkle schwere Trauer. Und die Hand von Jens, der die an meinem Bett saß.
Kaum war ich wieder zu Hause, war mir plötzlich klar, dass alle wissen würden, was passiert war. Mir war die Vorstellung, über unseren Verlust zu reden, völlig peinlich. Alle würden merken, dass mein Körper nicht richtig funktioniert hatte. Dass ich dabei versagt habe, mein Baby behalten zu können. Und doch merkte ich nach ein paar Tagen – ich fühlte mich immer weniger schuldig. Mir wurde immer klar, dass ich nichts dafür konnte, genauso wenig, wie jemand verhindern kann, dass er krank wird.
Da wir nun wirklich allen von der Schwangerschaft erzählt hatten, war es selbstverständlich, dass auch alle mitbekommen würden, dass ich eine Fehlgeburt hatte. Sogar die Kellnerin unseres Lieblingsrestaurants. Da wollte ich zunächst überhaupt nicht mehr hin. Doch schon drei Wochen später brauchte mein Mann dringend seine Ration von Sergios Spezialsoße – und wir gingen zum Italiener.
Es muss einer ihrer letzten Arbeitstage vor dem Mutterschutz gewesen sein, die hochschwangere Bedienung begrüßte uns super herzlich. „Wie geht es Ihnen drei denn heute?“ fragte sie. „Ich zähle schon die Tage, bis ich das Baby endlich im Arm halte, und Sie?“. Ich wurde rot. „Mir geht es jetzt schon wieder besser. Als ich vor drei Wochen die Fehlgeburt hatte, war es schlimmer.“ Sie schwieg. Legte ihre Hand auf meine und sagte leise: „Das tut mir so unendlich leid.“ Und komischerweise war mir das gar nicht peinlich. Ich fühlt nur warme Herzlichkeit.
Und die begegnete mir überall. Liebe Worte und stumme Umarmungen. Keine Vorwürfe, sondern Schultern an die ich mich anlehnen durfte, Blumen und kleine Geschenke. Erst jetzt erfuhr ich, dass meine Mutter und eine meiner Freundinnen auch ein Baby verloren hatten. Ich fühlte mich in meiner Trauer nicht allein, sondern geborgen. Ich durfte weinen um mein Kind und bekam Verständnis.
Nicht nur die Freude auf das Baby, auch den Verlust um mein Kind habe ich geteilt. Und heute weiß ich, dass das genau richtig war. Meine Freundin hatte ihr Baby in der zwölften Woche verloren – und es keinem gesagt. Jetzt erst verstehe ich, warum sie damals so komisch war. Dass sie mich nicht zurückrief und keine Lust hatte, auf Partys zu gehen, hatte ich auf mich bezogen und den Kontakt zu ihr beinahe verloren.
Warum ist es eigentlich üblich, über Fehlgeburten, gerade über frühe, zu schweigen? Mir hat die Unterstützung durch mein Umfeld so sehr geholfen. Und wenn ich wieder schwanger bin (ja  -wir wollen natürlich immer noch Eltern werden), dann werde ich wieder allen gleich erzählen, dass ich guter Hoffnung bin. Damit alle die, die mit mir getrauert haben sich wieder richtig freuen dürfen.“
Jana Schneider (28), protokolliert von Silke R. Plagge
Mehr über eine psychologische Studie, wie Frauen mit einer Fehlgeburt umgehen, finden Sie hier