„Wir sind jetzt auch schon im siebten Monat“, sagt Jörg und blickt zärtlich auf den sichtlich gerundeten Bauch seiner Frau Carola. „Ja, ich bekomme das Baby und Jörg eine Fettschicht und Stimmungsschwankungen“, ergänzt Carola mit einem anzüglichen Blick auf die nicht zu übersehende Speckrolle, die sich unter dem T-Shirt ihres Mannes abzeichnet.
Laut „Ärztezeitung“ entwickeln etwa 11 bis 79 Prozent aller werdenden Väter während der Schwangerschaft ihrer Partnerin typische Schwangerschaftssymptome wie Müdigkeit, Schmerzen, Übelkeit oder Verdauungsstörungen.
Auch der Hormonhaushalt der werdenden Väter ändert sich
Wenn daraus ein Leidensdruck entsteht, sprechen Psychiater in solchen Fällen vom „Couvade-Syndrom“ (vom französischen couver = brüten) oder „Männerkindbett“. Der Psychiater Prof. Dr. Hans-Peter Kampfhammer aus Graz, beschäftigt sich in der Fachzeitschrift „Info Neurologie & Psychiatrie“ mit diesem Phänomen. Laut Kampfhammer ist es ein Ausdruck einer konfliktreichen Anpassung an die Schwangerschaft und die künftige Vaterrolle.
Er ist nicht der einzige Experte, der sich mit den „co-schwangeren“ Männern beschäftigt. Die Bremer Diplompsychologin und Geburtsvorbereiterin Ulrike Hauffe untersuchte in einer Studie 150 werdende Väter und konnte eine durchschnittliche Gewichtszunahme von vier Kilogramm festmachen.

Auch die amerikanische Neuropsychiaterin Dr. Louann Brizendine hat in ihrer Arbeit über das männliche Gehirn festgestellt, dass die Schwangerschaft der Partnerin für Männer eine hormonelle und emotionale Herausforderung ist. Denn auch der Hormonhaushalt der werdenden Väter ändert sich, wie Dr. Brizendine nachweisen konnte: Der Testosteronspiegel sinkt und das Prolaktin steigt. Prolaktin ist als das „Milchbildungshormon“ bekannt. Bei Männern bewirkt es eine erhöhte Fürsorglichkeit. Vor der Geburt eines Kindes steigert sich der Hormonwert bei ihnen enorm – bis zu 20 Prozent.
Ein britisches Forscherteam konnte zudem zeigen, dass die vor allem Männer unter Hormonschwankungen leiden, die auch unter Gewichtszunahme litten und sich als besonders fürsorgliche Väter erwiesen. Das Forscherteam geht davon aus, dass sowohl das veränderte Verhalten der Schwangeren als auch die von ihnen produzierten Geruchsstoffe – sogenannte Pheromone – den Hormonspiegel der Männer beeinflussen.
Ein Ausdruck der männlichen Verunsicherung oder ein Programm zur „Brutpflege“?
Aber wieso reagieren männliche Körper? Auch dafür bieten die Forscher eine interessante Erklärung: Es ist ein Programm der Natur, dass bewirken soll, dass auch der Vater ein „Brutpflegeverhalten“ an den Tag legt und so eine intensive Beziehung zum Kind aufbaut.
Psychologisch gesehen könnte das Couvade-Syndrom auch zeigen, welche Konflikte Männer wegen einer Schwangerschaft erleben. Unbewusst, so eine These, entwickelten sie einen Gebärneid, der dazu führt, dass sie der eigenen Partnerin das Erlebnis schwanger zu sein, nicht gönnen.
Vielleicht ist der größer werdende Papa-Bauch auch Ausdruck des Bedürfnisses, dem Baby ein besonders viel körperlichen Schutz und Geborgenheit geben zu können – durch eine imposantere Statur. Tatsächlich mag es auch einfach daran liegen, dass Männer Hüftspeck ansetzen, da sie sich mit ihrer schwangeren Partnerin weniger bewegen und ruhigere Abende zu mehr Knabbereien auf dem Sofa verführen.

Moderne Männer sind in ihrer neuen Rolle oft sehr verunsichert. Von ihnen wird erwartet, dass sie Elternzeit nehmen und selbstverständlich Windeln wechseln. Viele Männer fühlen sich mit ihren Ängsten und Sorgen allein. Aber feste gesellschaftliche Rituale für die Papas gibt es keine, die fest vorgegebene Rollenverteilung hat sich geändert, denn selbstverständlich schieben Väter heute Kinderwagen. Und auch an der Schwangerschaft möchten sie intensiv teilhaben.
So eine männliche Teilhabe an der Schwangerschaft ist in vielen Naturvölkern sehr verbreitet. Männer ziehen sich sogar in Gebärhütten zurück, winden sich in Wehenschmerzen und stellen sich spirituell auf ihre neue Rolle ein.
Die werdenden Väter in unserer Gesellschaft sollten auch versuchen durch die gemeinsamen Besuche beim Frauenarzt und Geburtsvorbereitungskurse sich intensiv auf den Nachwuchs vorzubereiten, erklären Experten. Immerhin gibt es ja auch spezielle Kurse nur für werdende Väter.
Männer, die wirklich leiden, brauchen Hilfe
Wenn Papas in spe allerdings wirklich unter ihren Schwangerschaftssymptomen leiden, dann sollten sie laut Prof. Dr. Hans-Peter Kampfhammer nicht an normalen Geburtsvorbereitungskursen teilnehmen. Denn solche Kurse könnten Betroffene eher verunsichern. Tatsächlich suchen etwa 20 Prozent der Männer mit körperlichen Symptomen einen Arzt auf, weil sich so belastet fühlen.
Meist sei ihnen bereits geholfen, so Prof. Kampfhammer, wenn ihnen vermittelt werden kann, dass ihre körperlichen Symptome ein Ausdruck ihrer emotionalen Beteiligung an Schwangerschaft und Geburt sind. Im therapeutischen Gespräch sollte den werdenden Vätern daher viel Raum gegeben werden, über ihre aktuellen Ängste und Konflikte zu sprechen. Eine aufdeckende Psychotherapie sei meist nicht erforderlich. Nur in den äußerst seltenen Fällen, in denen eine echte psychische Störung vorliegt, sei eine psychotherapeutische und/oder medikamentöse Behandlung nötig.
Für eine Schwangere kann so ein mitbetroffener Mann jedenfalls oft auch sehr anstrengend sein. Carola war froh, dass ihr Mann nach der Geburt des Babys zwar noch ein bisschen rundlicher als früher war, aber nicht mehr so launisch war. „Vielleicht habe ich ihn wirklich angesteckt“, sagt sie heute lachend.
Zeigt Ihr Partner auch Schwangerschaftssymptome oder hatte er die? Wenn ja, welche? Wir sind gespannt auf Ihre Kommentare!
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