„Seit Wochen habe ich auf diesen Tag gewartet. Habe mir ausgemalt, wie es wieder sein wird so zu zweit. Ein lauer Abend im Garten unseres Lieblingsrestaurants. Eine leichte Brise würde die dunklen Locken von Dirk verwuscheln und seine Hand meine zart berühren – wie ein Versprechen. Wir schauen uns tief in die Augen und essen dabei etwas Köstliches. Ohne irgendwelche Störungen…
Denn natürlich muss es möglich sein, auch als Eltern eines kleinen Babys zusammen auszugehen. Davon bin ich überzeugt. Ich habe mich immer ein bisschen lustig gemacht über meine Freundinnen, die ständig nur zu Hause mit dem Kind waren. Handys und Milchpumpen machen ein Leben jenseits von Windelwechseln möglich. Wieder schick anziehen, kein Tuch mit ausgespuckter Milch über der Schulter und ein gepflegtes Essen ohne Schrei-Unterbrechungen.
Als Jule drei Monate alt war, begann meine Planung. Schon öfter hatte ich Milch abgepumpt und ihr gelegentlich auch ein Fläschchen gegeben. Fand sie nicht so toll, aber es ging. Meine Schwester Judith kennt das Baby gut und die beiden mögen sich. Als Studentin hat sie auch viel Zeit und kann ein Zubrot gebrauchen – wir haben also das Glück einen idealen Babysitter zu haben. Und irgendwann einmal musste ja das erste Mal sein.
Der Tisch war reserviert und Judith kam pünktlich. Mein Timing war perfekt. Ich war den ganzen Tag mit Jule unterwegs gewesen, hatte sie beschäftigt und sie kaum schlafen lassen. Nach einer ausgiebigen Stillmahlzeit war sie um 19 Uhr eingeschlafen. Leise schlichen Dirk und ich aus dem Haus. Alles war gut. Jule schlief und war satt, Judith winkte entspannt von unserem Sofa und hatte unsere Handynummern. Nichts konnte schief gehen.
Um 19.30h waren wir noch nie im Lokal. Es war eigentlich noch gar kein milder Abend – es war warm und stickig. Das Restaurant war – bis auf eine Familie mit zwei kleinen Kindern – noch leer. Aber das konnte uns egal sein. Wir bestellten uns zwei Gläser Champagner (das müsste bis zur nächsten Stilleinheit sicher abgebaut sein) und sahen uns tief in die Augen – aber nur kurz. Denn Dirk blickte immer wieder auf das Display seines Handys. Nicht, dass wir einen Anruf verpassen.
Das Kleinkind am Nachbartisch fing an zu brüllen. „Na, in einem Jahr können wir auch mit Jule hier so sitzen“, meinte Dirk und lachte. Wir fingen an über unser Lieblingsthema zu sprechen – Jule. Das Essen ließ auf sich warten. Und ich wurde langsam nervös. Vom Champagner hatte ich einen Schluckauf bekommen und die Stilleinlage war verrutscht. Auf meinem dünnen Seidenkleid zeichnete sich ein deutlicher Milchfleck ab.
Endlich kam das Essen. Aber irgendwie schmeckte mir der Auflauf nicht richtig und Dirk stocherte lustlos im Salat. Da klingelte mein Handy. Judith. Jule schrie jetzt schon eine halbe Stunde, wolle keine Flasche und sie wisse wirklich nicht mehr weiter. Dirk und ich ließen das Essen stehen, liefen hinter dem Keller her, um zu zahlen, und brauchten eine gefühlte Ewigkeit um zu Hause zu sein. Auch wenn der Fußweg nur zehn Minuten war.
Jule und Judith hatten beide hochrote Köpfe. Ich nahm mein Baby sofort auf den Arm und zu den Milchflecken auf der Brust gesellten sich Schnodder und Tränen auf die Seide. Alles egal. Die Kleine hörte auf zu weinen und bekam gleich die Brust – mit Champagnergeschmack.Dirk brachte Judith nach Hause und danach saßen wir zu dritt auf dem Sofa.
Jule war auf Dirks Arm eingeschlafen, ich kuschelte mich an die beiden ran und seine Hand berührte meine zart. Und es war ein Versprechen. Alles war anders geworden. Wir sind nun zu dritt und eine richtige Familie. Das ist wunderschön. Irgendwann wird Judith wieder auf Jule aufpassen. Aber für die Romantik und die tiefen Blicke in die Augen – und vor allem für das Gefühl von Geborgenheit und Wärme – dafür brauchen wir gar keinen Babysitter.“
Protokoll: Silke R. Plagge
Bild:© Yanik Chauvin – fotolia.com
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