Kidnapping von Baby

Eine Meldung, die erschütterte: Ein neugeborenes Mädchen wurde aus der Klinik entführt. Die Fahndung der Polizei war erfolgreich und Zinat ist wieder gesund und munter bei ihren Eltern. Wie selten solche Entführungen vorkommen und was die Gründe dafür sind….

Samira hat den Albtraum jeder Mutter erlebt. Die Zwanzigjährige wurde am 9. Dezember 2010 zum ersten Mal Mutter. Ihr kleines Mädchen wurde gegen 6.30 Uhr im Stadtkrankenhaus Frankfurt-Höchst zur Welt gebracht. Die Kleine war 51 Zentimeter groß 3200 Gramm schwer und gesund und munter. Die glücklichen Eltern freuten sich sehr, machten erste Bilder von ihrer Kleinen mit dem schwarzen Haarschopf.

Gegen 12.30 Uhr kam eine Frau in das Zimmer der Mutter und erklärte ihr, dass Sie das Baby für ein schönes Foto abholen wolle. Die junge Mutter gab der vermeintlichen Schwester ihr Kind. Und sorgte sich schon nach kurzer Zeit. Wenig später stellte sich heraus, dass das Baby entführt worden war – eine Großfahndung begann. Die Polizei durchsuchte zunächst die Klinik mit ihren rund 20 Fachabteilungen und 1000 Betten. Dann wurde die weitere Umgebung, auch mit einem Hubschrauber abgesucht – ohne Ergebnis. Schließlich wandten sich die Ermittler an die Öffentlichkeit.

Das Bild des Säuglings im gepunkteten Strampler und eine Beschreibung der vermutlichen Täterin führten zum Erfolg. Denn die Täterin und ihre Lebenspartnerin waren in ihrem Umfeld aufgefallen – ein Hinweis sorgte dafür, dass das Mädchen wieder zurück zu seinen Eltern gebracht werden konnte. Die sind glücklich, dass ihre kleine Zinat wieder bei Ihnen ist – müssen aber noch psychologisch betreut werden.

Nicht nur für die Eltern, auch für die Mitarbeiter der Klinik war die Tat schockierend. Es sei in mehr als 50 Jahren der erste Vorfall dieser Art, sagte der Medizinische Geschäftsführer des Klinikums, Christof Kugler. Bisher hatte das Klinikum auf eine Videoüberwachung verzichtet – doch nun wird darüber nachgedacht. Vor allem aber gilt Kuglers Sorge Zinats Familie: „Den Eltern gilt unser ganzes Mitgefühl, wir versuchen sie bestmöglich zu unterstützen.“

Offensichtlich war die Tat geplant. Denn die 28jährige Jana, die das Baby entführt hat, gibt die Tat zu. Sie hat vor etwa einem Jahr eine Fehlgeburt nach einer künstlichen Befruchtung gehabt, wie der leitende Ermittler Peter Krump berichtet. Ihr Kinderwunsch war so dringend, dass sie ihrer Lebenspartnerin und ihrem Bekanntenkreis eine Schwangerschaft vortäuschte – sie hatte sich einen Mutterpass besorgt und telefonierte angeblich häufig mit einem Gynäkologen. Sie habe sich nicht getraut, der ihrer lesbischen Partnerin die Wahrheit zu sagen, daher habe sie ein Baby aus der Klinik „entwendet“ erklärt die Entführerin. Die ebenfalls 28-Jährige Lebensgefährtin, die zunächst auch in Tatverdacht geriet, sei „aus allen Wolken gefallen“, als sie von der Entführung des Säuglings gehört habe, so Chefermittler Krump.

 

Entführungen aus der Säuglingsstation sind spektakulär, aber sehr selten

Säuglingsentführungen kommen in Deutschland höchstens ein- bis zweimal pro Jahr vor. In den meisten bekannten Fällen waren die Täterinnen Frauen mit Kinderwunsch, oft welche, die ihr eigenes Kind verloren hatten. „ Es ist auf jeden Fall ein grober Fehler zu sagen, Frauen die ein Kind verloren haben, seien besonders gefährdet. Es gibt verschiedene Formen, auf eine posttraumatische Belastung zu reagieren“, erklärt Prof. Dr. Christian Haring, Direktor des Psychischen Krankenhauses in Tirol.

„Nach einer Fehlgeburt gibt es verschiedene Phasen. Eine davon ist zum Beispiel das Nicht-Wahrhaben-Wollen. Ich kann mir schon vorstellen, dass eine Frau unter diesem Aspekt einen Schritt wie eine Kindesentführung macht“, sagt der Experte. „Das ist aber gar nicht wie eine Entführung zu sehen, denn in den meisten Fällen passiert es wie in einer fremden Realität. Die Frau denkt sich in der Situation also womöglich, dass es ihr eigenes Kind ist und sieht das Unrecht nicht, das sie begeht. Oder sie betrachtet es als eine Wiedergutmachung für das, was ihr Schlechtes widerfahren ist.“ Daher endeten die Entführungen auch in den meisten Fällen gut, denn die Täterinnen behandelten das Kind ja wie ihr eigenes.

Auch wenn Entführungen oder Verwechslungen von Neugeborenen extrem selten sind, haben die meisten Kliniken Sicherheitsmaßnahmen ergriffen. Neben einer Videoüberwachung wird immer häufiger ein Chiparmband eingeführt. Babys und Mütter tragen ein Armband mit Chip am Handgelenkt, das Alarm auslöst, wenn das Kind zu weit von der Mutter weggebracht wird.

Kleinere Krankenhäuser setzen meist auf gekennzeichnete Bänder an Arm und Fuß, auf dem Name, Geburtsdatum und -uhrzeit vermerkt sind. Ist die Säuglingsstation klein, kann das Personal auch leichter den Überblick bewahren – die meisten Neugeborenen sind aber dank Rooming-In meist bei ihren Müttern.

Experten sind sich einig: Auch ausgefeilte Technik kann nicht alles verhindern – doch die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind aus der Klinik entwendet wird, ist so gering, dass sie statistisch nicht zu messen ist. Für die Eltern der kleinen Zinat ging die unfassbare Tat gut aus. Sie werden in diesem Jahr zum ersten Mal die Festtage zu dritt und gesund verbringen.

 

Bekannte Fälle von Klinikentführungen

6. November 2008:Die zwei Tage alte Lara wird in Buxtehude entführt. Sie wird wenige Stunden später in einem Blumenkübel vor Krankenhaus Bremerhaven wiedergefunden -70 Kilometer entfernt.5. Juni 2005: Die fünf Stunden alte Laureta wird aus der Klinik in Leverkusen wird entführt. Nach einem verzweifelten Aufruf der Mutter im Fernsehen wird das Baby vier Tage später gesund in einem Aufzug gefunden. Die 38-jährige Entführerin legt bei der Polizei ein Geständnis ab. Das Tatmotiv war offenbar ihr unerfüllter Kinderwunsch.12. Juni 2003: Eine als Krankenschwester verkleidete 31-Jährige gelingt es den drei Tage alten Fabian aus dem Säuglingszimmer des Krankenhaus in Dortmund zu entführen. Er wird nach zehnstündiger Fahndung gefunden. Motiv der 43jährigen Täterin: unerfüllter Kinderwunsch und eine vorgetäuschte Schwangerschaft.

09. November 2001: Eine psychisch labile Frau entführt Marek am Tag nach seiner Geburt aus dem Krankenhaus in Bückeburg (Niedersachsen). Die 20-Jährige hatte einen Moment ausgenutzt, in dem das Säuglingszimmer nicht unter Aufsicht war. Der Junge wird gesund bei der Täterin gefunden. Die Frau hatte im Bekanntenkreis erzählt, sie wolle entbinden gehen und war kurze Zeit später tatsächlich mit einem Baby zurückgekehrt.

26. April 2001:
Tom, zwei Tage alt,  wird von einer als Krankenschwester getarnten Frau aus dem Kreiskrankenhaus in Bad Soden entführt. Einen Tag nach seiner Entführung wird das Baby unversehrt in der Wohnung der Entführerin in Hattersheim bei Frankfurt gefunden. Monate zuvor hatte die Frau ein eigenes Kind verloren.

21. Februar 2001:
Aus der Säuglingsstation einer Klinik in Bremen entführt eine 36-Jährige den einen Tag alten Paul Moritz. Ihr war das Sorgerecht für fünf eigene Kinder entzogen worden.

25.02.2000:
Die fünf Tage alte Melek wird aus einem Krankenhaus in Wetzlar von einer als Krankenschwester getarnten 26-jährigen mitgenommen. Einen Tag später wird er dank Hinweisen in der Wohnung der Täterin gefunden. Die Entführerin hatte Ende 1999 eine Fehlgeburt, die sie vor ihrem Freund verbergen wollte.

Bild Zinat: ©Polizeipräsidium Frankfurt am Main