Tschüss, Karre…

Er ist klein und blau und einfach praktisch. Trotzdem muss er weg. Auch wenn es mir schwer fällt: Die Kinderkarre hat ausgesorgt. Ein ganz persönlicher Abschied von einer Ära und klare Erkenntnisse, warum das gut so ist…
Seit ziemlich genau sechs Jahren sind sie meine Gefährten: Erst der Kinderwagen und dann der Buggy. Ich habe sie geliebt und verflucht. Und was war ich aufgeregt, als ich damals mit dem hochschwangeren Bauch im Laden die erste Testfahrt gemacht habe. Das ungeborene Baby wurde dadurch irgendwie realer. Und dann, an einem klirrend kalten Tag im Februar war die wirkliche Premiere. Die Mini-Maus versank fast im Schafsfell und hatte zwei Mützen auf.
Später wurde der Kinderwagen zur Karre, dann kam der Rückbau und ein Buggy Board, denn Baby Nummer Zwei lag nun im blauen Kinderwagen. Mit dem Teil bin ich Bus und U-Bahn gefahren, er war am Sandstrand und im Dschungel der Großstadt unterwegs. Und er hat nicht nur meine zwei Kinder, sondern vor allem jede Menge Lebensmittel und Windelpakete transportiert. Kein Wunder, dass irgendwann die Achse brach. Zeit für einen Abschied.
Aber nur von der Kombikarre. Ich muss gestehen, meine Kinder waren damals vier und zwei Jahre alt, und ich versuchte es mir vorzustellen: ein Leben ohne Karre? Das ging gar nicht. Für mich jedenfalls nicht. Ich erstand einen gebrauchten Buggy mit praktischer Stehmöglichkeit für das Geschwisterkind.
Soll ich ehrlich sein? Das gute Teil war bei uns bis vor kurzem durchaus noch im Einsatz. Aber nur noch selten. So ein Buggy kann so ein Friedensstifter sein. Haben Sie schon mal versucht, einen Großeinkauf auf dem Rücken zu tragen und an jeder Hand ein bockiges Kleinkind? Nicht? Ich schon. Einmal. Danach war Freund Buggy wieder mit dabei. Der Einkauf kam in den Sitz und die Kinder durften abwechselnd hinten mitfahren. Manchmal habe ich auch den gesamten Einkauf hinten dran gehängt und beide Kinder irgendwie in den Untersatz bugsiert. Das brauchte Frieden. Meinen inneren Seelenfrieden.
Auch bei längeren Spaziergängen oder wenn ein Kind krank ist, war der liebe Buggy noch lange im Einsatz. Sicher ist es wichtig, dass die Kinder nicht nur darin sitzen. Davor warnen Experten eindringlich.
Es gibt sogar einen Begriff für Kinder, die viel zu lange und zu oft in der Karre sitzen: „buggy potatoes“, frei nach der „coach potatoe“, zu der sie dann sicher werden. Professor Hans-Michael Strassburg von der Universitäts-Kinderklinik Würzburg warnt vor den Folgen: Koordinationsstörungen und Defizite in der Motorik. Die können sogar so weit gehen, dass Kinder so wenig Gespür für den eigenen Körper haben, dass sie sich bei einem Sturz nicht mit den Händen abstützen, sondern direkt aufs Gesicht fallen.
Solch eine Fehlentwicklung beginnt schon im Babyalter: Säuglinge, die fast nur im Kindersitz oder eng eingepackt in einer Tasche im Kinderwagen liegen, lernen sehr spät, sich zu bewegen. Wer nie auf dem Bauch gelegt wird, erlernt es auch kaum, den Kopf zu heben.
Auch Drehen, Robben und Krabbeln können Kinder natürlich nur lernen, wenn sie auf dem Boden sind. Und dann erobern sie ganz langsam die Welt, ziehen sich hoch und entdecken das Laufen. Im zweiten Lebensjahr können die meisten Kinder schon so gut laufen, dass sie eigentlich keine Karre mehr benötigen. Eigentlich.
Denn natürlich können Kleinkinder noch keine langen Strecken marschieren. Deswegen sind die meisten Kinderkarren auch bis etwa 4 Jahre geeignet. Im gelegentlichen Einsatz ist das auch wirklich erlaubt.
Aber eben nur gelegentlich. Na klar, ich gebe ja offen zu, dass ich es auch praktischer fand, rasch ein Kind in den Sitz zu setzen und das andere hinten drauf zu packen. Wir waren viel schneller am Ziel, als wenn der Nachwuchs selbst lief. Denn auf dem Weg mussten Blätter gesammelt, Steine angeguckt und Kastanien aufgehoben werden. Eilig hatte nur ich es. Die Kinder wollten die Welt erkunden – in ihrem Tempo.
Das ist auch richtig und wichtig. Allerdings leider nicht immer sonderlich praktisch für Eltern. Hier halfen – jedenfalls bei uns – richtige Spaziergänge. Die Kinder konnten alles in Ruhe angucken und ich hatte keinen Zeitdruck.
Der Buggy? Der steht jetzt im Keller. Neulich habe ich ihn doch tatsächlich noch einmal genutzt, als das Auto kaputt war, um meinen Rücken beim Einkaufen zu entlasten. Die Kinder hatte ich gar nicht dabei. Ich bin halt noch zu eitel, um auf einen „Hackenporsche“ für alte Damen umzusteigen…
Ansonsten lieben die Kinder noch immer fahrbare Untersätze mit Rädern. Wir sind meist mit Laufrad und Fahrrad unterwegs. Da sich der Verkehr am Stadtrand in Grenzen hält geht das ganz gut. Aber es schont keineswegs mütterliche Nerven. Und auch nicht den Rücken. Einkäufe schultere ich jetzt im Rucksack.
Manchmal, aber nur manchmal, ertappe ich mich dabei, dass ich an die friedlichen Zeiten mit dem Buggy zurück denke. Wahrscheinlich wird er bald auf den Flohmarkt wandern. Aber noch bin ich nicht ganz so weit. Könnte ja sein, dass das Auto noch mal in die Werkstatt muss. Oder dass ein Kind krank wird und der Mann unterwegs ist. Oder… Ach je. Aber die Zeit ist gekommen.
Die Kinder sind vier und fünf Jahre alt. Time to say ‚good-bye’. Mach’s gut, lieber Buggy. Mein Leben ohne dich wird anders sein. Die Kinder vermissen dich gar nicht mehr, weil sie viel zu gerne laufen oder Fahrrad fahren. Aber in meinem Herzen wirst du immer einen speziellen Platz haben. Tschüss, Karre.
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