„Ich dachte, dass ich eine gute Mutter bin. Immerhin kann ich Obst in kleine Stücke schneiden, wickle mittlerweile sogar stehende Kinder und kann diverse Kinderlieder auswendig.
Meine Kinder sind jetzt 6 Monate und 3 Jahre alt und vor einigen Wochen sind wir umgezogen. In ein schmuckes kleines Reihenhaus am Stadtrand. Ben fühlt sich im neuen Kindergarten wohl und auch für unser Baby Nele habe ich schon nette Spielpartner gefunden. Einge Frauen aus der Nachbarschaft treffen sich mit ihren Babys alle zwei Wochen und wir waren eingeladen.
Die ersten Wochen waren nett. Gut, wir waren die Neuen, aber ich hatte das Gefühl, dass ich wirklich willkommen war. Und auch Nele mochte die anderen Kinder. Kleinigkeiten fielen aber schon auf. Als Nele etwa ein Buch in den Mund genommen hatte, sprang die Gastgeberin hoch, nahm ihr das Buch weg und desinfizierte es mit einem Spray. Oder ein anderes Mal brachte ich Butterkekse für die Kleinen mit. „Im ersten Jahr gebe ich keine Zucker“, sagte eine der Mütter und die anderen nickten empört.
Ehrlich gesagt, Ben habe ich auch erst ab dem 7. Monat eine Dinkelstange gegeben und war sehr vorsichtig. Aber ich kann Nele schlecht alles verweigern, was der Bruder schon darf. Aber das fand ich alles nicht so schlimm.
Dann traf sich die Gruppe bei mir. Fünf Mütter und fünf Babys. Ich hatte zwei Decken für die Kinder hingelegt und eine Spielzeugkiste parat. Es gab frischen Tee, Kaffe und ich hatte für die Muttis auch einen Kuchen gebacken. Hatte mich wirklich gefreut.
Das Treffen dauert dann keine zwei Stunden. Es war grausam. Anneke krabbelte darauf los und untersuchte unsere Palme. Sie hatte beide Hände voller Blumenerde und wollte sie gerade in den Mund stecken, als ihre Mutter panisch aufschrie. Sie rannte mit dem Babys in Bad. Dann verabschiedete sie sich, sie müsse jetzt los.
Als nächstes schob Jannis seine Hand in den Videorekorder. Seine Mutter bekam Angst, dass er einen Stromschlag bekommen könnte, nahm ihn auf den Schoss und ging dann auch bald.
Die Mütter von Nora und Henrik blieben noch sitzten. Aber klar, Nora kam mit dem Kopf gegen die Tischkante – sie hatte sich am Stuhl hochgezogen und der Tisch stand da etwas im Weg. Henrik krabbelte unter eine Kommode und fand dort einen Legostein von Ben, den er stolz seiner Mutter präsentierte. Dann war das Treffen vorzeitig beendet. Mit empörten Blicken zogen die Mütter ab.
Soll ich ehrlich sein? Ich war supersauer. Hallo? Wie unhöflich. Zwei Wochen später trafen wir uns bei Noras Mutter. Und dann wusste ich Bescheid. Ich war eine schlechte Mutter. Ich durfte folgenden Satz hören. „Du, ehrlich gesagt, dass war schlimm bei dir. Bei dir ist ja gar nichts kindgerecht. Ihr solltet euer Wohnzimmer echt neu gestalten.“ Ich sah mich im Wohnzimmer von Nora um. Es war Noras Zimmer. Nicht das ihrer Eltern.
Um die Sitzgruppe (Ledercouch, blau, damit man keine Flecken sieht) war ein riesiges Laufgitter gestellt. Damit die Kinder nicht an das Geschirr kommen. Sie könnten sich ja an den mütterlichen Tassen verbrühen. Es gab nur drei Regale. Alle unteren Fächer waren freigeräumt. Vor der Stereoanlage war ein weiteres Gitter. Keine Pflanzen. Keine Gefahrenquellen. Sagrotanreine Fliesen. Darauf dickgesteppte Decken, damit kein Kind sich wehtut. Wenn eines von den Decken krabbeln wollte, griffen die Mütter gleich ein.
Diesmal ging ich. Nach 15 Minuten und der spitzen Bemerkung – die anderen hatten eifrig genickt. Ehrlich gesagt, habe ich den Damen meine Meinung nicht gesagt. Die wäre zu böse.
Aber hier sage ich sie: ICH lebe in meinem Wohnzimmer. Und mein Kind lernt eben, was es nicht darf. MEINE Kinder lernen das Wort NEIN, darum wissen sie, dass man seine Finger nicht überall reinstecken darf, dass man an Tischkanten vorsichtig sein muss. Und wenn ich sage etwas ist „Heiß“ , dann wissen sie, dass sie wirklich aufpassen müssen. Ich mag helle Möbel und Flecken wische ich notfalls ab. Und ich will nicht in einem Laufstall sitzen. Das finde ich völlig schräg. Kinder müssen lernen, wo sie aufpassen müssen und Eltern müssen ihnen auch erlauben sich einmal weh zu tun.“
*Namen von der Redaktion geändert
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Danke für diesen Beitrag! Ich habe auch zwei Kinder, 4 und 2. Bei meinem Sohn war ich auch noch viel vorsichtiger als mit meiner Tochter und ich habe es als eine riesige Erleichterung erlebt, dass ich beim zweiten Kind mich eben nicht mehr so angestellt habe. Meine Kinder dürfen auch mal hinfallen, Kekse essen, lassen meine Pflanzen und meine Deko in Ruhe, weil auch ich diese nie weggeräumt habe, sondern von Anfang an NEIN zu den Dingen gesagt habe die tabu sind. Gefahrenquellen wie Steckdosen oder Feuerzeuge/Kerzen sind selbstverständlich nicht in Reichweite. Mich nerven solche Situationen, in denen man das Gefühl bekommt, eine schlechte Mutter zu sein, nur weil die Kinder nicht der Mittelpunkt des Universums sind auch enorm. Aber ich denke wir können uns trösten, aus unseren Kindern werden später mal sozialverträgliche Mitglieder der Gesellschaft und keine Egomanen, die sich nicht auch mal unterordnen können und selbstständig und eigenverantwortlich zu handeln.