„Na ja, eine Rabenmutter bin ich eigentlich nicht. Aber auch keine Übermutter, die alle Kinder wunderbar findet. Ich habe nämlich seit vier Jahren ein Problem. Das Problem heißt Nora. Sie ist vier Jahre alt und die Tochter meiner besten Freundin.
Es hätte alles so schön sein können. Judith und ich kennen uns schon seit der Schulzeit. Wir haben uns zwischendurch zwar seltener gesehen, aber immer Kontakt gehalten. Durch Zufall hat es uns beide nach Dortmund verschlagen. Unsere Männer mögen sich und wir haben witzige Paarabende verbracht.
Judith war die Erste, der ich von meiner Schwangerschaft erzählte. Sie wurde ganz rot. Und dann ganz blass. Dann platzte es aus ihr heraus: „Ich habe gestern auch einen positiven Test in der Hand gehalten.“ Uns liefen die Freudentränen herunter. Ich sah uns gemütlich auf Krabbeldecken sitzen und die Kinder würden besten Freundinnen werden.
Doch es kam anders. Denn Nora kam. Meine Lena ist vier Wochen älter und war von Anfang an unkompliziert. Keine besonders schlimme Geburt, sie trank brav und schrie nur selten. Klar, waren auch bei mir die Nächte manchmal schlimm, aber ich konnte mich sonst wirklich nicht beklagen.
Nörchen hingegen tat sich mit allem schwer. Kam per Notkaiserschnitt zur Welt, lag die ersten Tage auf der Intensivstation und war anschließend zwar ein gesundes, aber ein ausgesprochen unzufriedenes Baby. Sie schrie ständig. Judith trug sie immer auf und ab, stillte sie ständig, bis sie eine fiese Brustentzündung bekam.
Wir hatten uns gemeinsam für einen Babymassagekurs angemeldet, aber Nora schrie so sehr, dass Judith nach dem zweiten Treffen aufgab. Auch gemeinsame Spaziergänge oder andere Aktivitäten fielen irgendwie aus. Entweder schlief Nora gerade oder Judith war zu müde.
Trotzdem trafen wir uns manchmal mit beiden Familien und auch wir Frauen sahen uns allein – bei der Rückbildung. Meine Freundin Judith sah immer angegriffen aus. Mir war klar, dass sie einen viel schwereren Start ins Muttersein hatte als ich. Aber wie sollte ich ihr helfen?
Auch wenn sie sich in den nächsten Monaten nur gelegentlich meldete, hielt ich den Kontakt. Aus dem schreienden Baby war ein nörgeliges Kleinkind geworden. Mein Mann fand das als Erster unerträglich. „Die machen so einen Aufstand um ihre kleine Zicke, ich ertrage die Treffen nicht“, erklärte er. Gespräche unter Erwachsenen gab es nämlich praktisch nicht mehr. „Nora, möchtest du Saft? Welchen denn?“ wurde gefragt. Und Noras Mama und Papa hatten kaum ein anderes Gesprächsthema als ihr Wunderkind. Das unterdessen maulig in einer Ecke hockte. Auch mir wurde immer deutlicher: Ich mag meine Freundin sehr gern. Aber ihr Kind ertrage ich nicht.
Mittlerweile ist es sogar noch schlimmer geworden. Unsere Mädchen sind jetzt beide seit einem Jahr im Kindergarten, allerdings nicht im gleichen. Alle paar Wochen treffen wir uns mit Judith und Nora, meist ohne die Männer. Aber zum Kaffee trinken kommen wir Mütter selten. Entweder schreit Nora herum, weil die Mama nicht ihre Lieblingssocken mitgenommen hat, sie fordert andere Kekse als die, die ihr angeboten werden, oder sie findet Lenas Sachen doof.
Sind wir dort zu Besuch, darf Lena praktisch kein Spielzeug anfassen. Meine Tochter ist zwar lieb, aber sie mag die Besuche nicht. „Mama, ich mag die Nora nicht“, hat sie mir gestern gesagt. Und ich mag sie auch nicht. Sie ist verwöhnt, furchtbar zickig und beschimpft ihre Mutter. „Du doofe Kuh“, sagt sie und schlägt manchmal zu.
Gestern Abend habe ich mir ein Herz gefasst. Ich hatte Judith endlich überreden können, dass wir abends mal etwas trinken. Ganz fest hatte ich mir vorgenommen, dass ich Judith offen und ehrlich erkläre, wie anstrengend ich Nora finde. Vielleicht könnte ihr das auch helfen, irgendwie?
Doch bevor ich irgendetwas sagen konnte, kam mir Judith zuvor. „Du stell dir vor, in unserem Leben wird alles anders. Das wird für Nora schwer“. Ich sah sie verwundert an. „Ich bin wieder schwanger, in der zwölften Woche!“ Judith strahlte. Und ich schluckte. Auch in meiner Handtasche steckte nämlich seit kurzem ein Mutterpass. Nur dieses Mal kann ich mich nicht über die gemeinsame Schwangerschaft freuen.
Ja, Lena und Nora werden gemeinsam große Schwestern. Aber noch eine Nora halte ich wirklich nicht aus. Aber wie soll ich das nur meiner Freundin erklären? Bin ich eine miese Mutter, weil ich die Kinder meiner Freundin so schlimm finde?“
Bild:© Michael Kempf – Fotolia.com
*Namen von der Redaktion geändert
Dieser Text erreicht die Redaktion für die Rubrik „Rabeneltern“. Mama und Papa können dort anonym bekennen, was sie alles nicht so machen wie im Lehrbuch….
Wir freuen uns auch über Ihre Elternerlebnisse. Wer uns unter Rabeneltern- Einsendungen ein Erlebnis oder ein Bekenntnis schickt, kann ein altersgemäßes Kinderbuchpaket gewinnen!
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Wem ausser den eigenen Eltern wäre denn so ein Kind sympathisch? 😉
Ich kann sowas sehr gut verstehen und würde, je nach Verhältnis zur Freundin, mal vorsichtig ansprechen dass dieses Kind womöglich so unzufrieden ist weil dessen Eltern den WÜNSCHEN(nicht Bedürfnissen!) des Kindes zu sehr nachkommen weil sie denken sie stellen das Kind so zufrieden, doch sie bewirken genau das Gegenteil. Es ist immer heikel einer Mutter zu sagen dass sie etwas anders machen sollte, die meisten reagieren da entweder garnicht oder sehr patzig.
Im Grunde ist dieses Mädchen sehr arm und kann für sein Verhalten wenig. Nora wurde vermutlich vom Säuglingalter an extrem umsorgt, was am Anfang zwar notwendig war da das Kind einen schweren Start ins Leben hatte, aber man hätte das beizeiten auch wieder einstellen müssen. Und ja, es wird für Nora schwer werden die Aufmerksamkeit der Eltern und die Kraft der Mutter mit einem Geschwisterchen zu teilen..vlt wird das zweite Kind ja ruhiger und ganz anders, nicht selten sind Geschwister sehr verschieden. Oder es wird noch eine Nora, dann würde ich mich distanzieren.
PS: Als Mutter muss man nicht alle Kinder mögen, vor allem nicht solche.
Was genau unterscheidet denn „Wünsche“ von „Bedürfnissen“? Wenn ein Kind Wünsche äußert, will es ja eben seine Bedürfnisse kommunizieren… Es ist richtig und zeugt von Respekt, diese nicht außer Acht zu lassen. Was ist daran falsch, ein Kind zu fragen, welchen Saft es will? Das würden wir doch auch jeden anderen Menschen fragen?!
Wahrscheinlich schämen sich die Eltern für Noras Art. Und das spürt sie. Deshalb ist sie so anstrengend. Ursprünglich wegen ihres schwierigen Starts, jetzt wegen mangelnder Akzeptanz. Ein echter Teufelskreis, aus dem nur die Eltern wieder herauskommen, sie selbst nicht. Das arme Kind, verdammt. Auf nestling.org sind ein paar gute Anregungen, wie man selbst umdenken kann als Eltern vermeintlich anstrengender Kinder.