Dann eben so!

Jeden Morgen gab es einen Kampf. Der knapp dreijährige Tim schrie und tobte. Er wollte nicht angezogen werden. Doofe Anziehsachen! Bis Andrea nicht mehr konnte: Sie lieferte ihren schreienden Sohn im Schlafanzug im Kindergarten ab…
„Ich liebe meinen Sohn Tim. Er ist gerade drei Jahre alt geworden und einfach ein ganz lieber kleiner Kerl. Seit einem halben Jahr geht er jetzt in den Kindergarten und da ist er auch sehr gerne.
Aber jeden Morgen hat Tim den gleichen furchtbaren Machtkampf mit mir durchgeführt. Absolut jeder Morgen war ein wahnsinniger Kampf. Nur am Wochenende war es nicht ganz so schlimm, weil ich dann ja keinen Zeitdruck hatte. Aber auch da ging sein Geschrei weiter. Am Kindergarten lag es also nicht.
Keine Ahnung, wann das eigentlich anfing, ich glaube nach dem Sommer. Als es so irre warm war, durfte Tim nur mit der Windel bekleidet schlafen, Katzenwäsche, kurze Hose, T-Shirt fertig waren wir. Doch als es wieder kälter wurde, entwickelte sich das tägliche Anziehen bei Tim zu einem Drama.
Es begann damit, dass er weg lief und sich im Bett versteckte. Da musste ich ihn vorholen, ins Bad tragen, dort unter Brüllen den Schlafanzug ausziehen. Dann Waschen und Anziehen. Ich wusch einen lauten sich windenden Aal und versuchte einen Brüllteufel in Socken, Unterwäsche, Socken und so weiter zu stopfen. Dabei wehrte er sich, so gut er kann.
Die ganze Prozedur hat bestimmt eine Stunde gedauert. Tim verweigerte sich, wo er nur konnte. Früher hatte er einfach nur gebummelt beim Anziehen, das war auch nervig, aber das Gebrüll raubte mir den letzten Nerv.
Ich habe mit den Erzieherinnen gesprochen. Kaum gab ich Tim ab, hat er sich wohl beruhigt. Aber ich nicht. Dieser tägliche Kampf machte mich richtig fertig. Also überlegte ich, wie ich wieder friedliche Tagesanfänge haben könnte.
Zunächst musste der Papa ran. Eigentlich eine gute Idee. Blöd nur, dass der Sohn bei ihm brav mitmachte. Und nach einer Woche musste mein Mann wieder früher los zur Arbeit. „Läuft doch alles“, meinte er. Ich traute dem Ganzen nicht. Mit Recht. Am nächsten Montag ging das Geschrei wieder los.
Als nächstes überlegte ich, dass wir vielleicht mehr Zeit morgens brauchen, ich stand früher auf, damit ich mich voll auf Tim konzentrieren kann. Nützte nichts. Brüll, brüll, brüll.
Und dann? Vielleicht lag es an der Kleidung? Tim sollte ab nun abends mit mir die Sachen für den nächsten Tag heraussuchen. Machte er auch brav. Da lagen nun also auf seinem Stuhl die Jeans mit dem coolen Autoaufnäher und der Pulli mit dem lieben Dino. Am nächsten Morgen war ich voller Hoffnung. Vergeblich. Wieder Kampf, wieder schreiendes Kind.
Vor zwei Wochen habe ich dann alles kombiniert. Der Papa weckte Timmi, spielte mit ihm ein wenig. Und ich duschte mich, so dass ich schon fertig angezogen war, als ich Tim helfen wollte. Und was tat der Sohn? Der ging nicht ins Bad. Der ignorierte den Stapel mit der vorher zusammen sorgfältig herausgesuchten Wäsche. Tim schrie. „Nein, will mich nicht anziehen!“
Da platzte irgendetwas in mir drinnen. Ich schnappte mir die Klamotten, stopfte die in eine Tasche und dann schrie ich Tim an „Das ist mir völlig schnurzegal. Dann gehst du eben so in den Kindergarten!“ Ich packte ihn – vor Schreck war er sogar ganz still – und setzte ihn im Schlafanzug ins Auto. Barfuß, ohne Schuhe. Die hatte ich noch schnell in die Tasche gesteckt.
Wutentbrannt fuhr ich zum Kindergarten. „Wieso hast du denn einen Schlafanzug an?“ wollten die anderen Kinder von Tim wissen. Der schwieg. Und schmollte. Seine Haare waren verschwitzt und er trug noch die Nachtwindel und den Pyjama. Die anderen Kinder fingen an auf ihn zu zeigen und zu lachen.
Die Erzieherin kam und sah mich strafend an. „Was ist denn los?“ fragte sie. „Tim, ich finde du solltest das selbst erzählen“, meinte ich. Schweigen. Dann murmelte er: „Mag mich nicht anziehen. Anziehen ist doof.“ Da sah die Erzieherin ihn erstaunt an. „Findest du denn kalte Füße und einen Schlafanzug im Kindergarten schön?“ „Nö.“ Wir beiden Erwachsenen sahen den kleinen Jungen an. Ich nahm die Tasche von der Schulter. „Ich gehe jetzt. Wenn du doch angezogen sein willst. Hier drin sind deine Sachen.“ Er schmollte noch, als ich ging. Aber die Tasche hielt er fest.
Tatsächlich war das das letzte Mal, dass wir am Morgen so einen Streit hatten. Das Gebrüll hat aufgehört. Warum – keine Ahnung. Es war wohl wirklich ein Machtkampf. Jeden Morgen hatte ich mich ja irgendwie auf sein Spiel eingelassen. Das ich das nicht tat und ihn sogar im Pyjama in den Kindergarten gefahren hatte, war wohl wirklich ein Schock. Aber ein heilsamer.
Damit es morgens nicht wieder stressig wird, suchen Tim und ich immer abends schon die Sachen heraus, ich nehme mir auch mehr Zeit, denn vielleicht hatte ich ja Timmi wirklich zu sehr unter Druck gesetzt. Wir haben uns mit diesen Kämpfen wirklich an die Grenze geführt. Doch nun ist es vorbei. Weil ich so gehandelt habe, wie ich es eigentlich ganz schrecklich fand. Aber es hat geholfen. Ich frage mich natürlich, ob das wirklich richtig war, den Kleinen so zu konfrontieren, aber mir fiel ja keine andere Lösung mehr ein. Was hätte ich sonst tun sollen?“
Bild:©Galina Barskaya – Fotolia.come
Protokoll: Silke R. Plagge
*Namen von der Redaktion geändert

Dieser Text erreicht die Redaktion für die Rubrik „Rabeneltern“. Mama und Papa können dort anonym bekennen, was sie alles nicht so machen wie im Lehrbuch….
Wir freuen uns auch über Ihre Elternerlebnisse. Wer uns unter Rabeneltern- Einsendungen ein Erlebnis oder ein Bekenntnis schickt, kann ein altersgemäßes Kinderbuchpaket gewinnen!
Wer einen Rat für Andrea hat, kann hier gern einen Kommentar schreiben. Sie wird sich sicher freuen…

3 Gedanken zu „Dann eben so!“

  1. Wir haben das heute auch durch, ich hoffe das war das letzte mal mit dem Streß am morgen, er hatte eine Stunde Zeit sich anzuziehen(ist 5 fast 6 Jahre). Bin gespannt ob wir nochmal das Problem haben.

  2. Hut ab vor dieser Mutter! Meine Mutter hat sowas mit mir auch einmal gemacht- die Betonung liegt auf EINMAL, danach habe ich mich immer angezogen…
    Diese Situationen kennt wohl jede Mutter, die typischen grenzenauslotenden „Machtspiele“!

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