Gute Mütter erahnen immer die Bedürfnisse ihrer Kinder, helfen ihnen bei jedem Schritt und bewahren ihren kleinen Schatz stets vor allen Gefahren. Davon sind viele Frauen überzeugt – doch dieser Anspruch, eine perfekte Mutter zu sein, ist zwar gut gemeint, tut aber weder Kind noch Mutter gut. Denn aus „gut gemeint“ kann eine Überbehütung werden. Und die schadet der seelischen Entwicklung eines Kindes.
Eine perfekte Mutter kann es nicht ertragen, wenn ihr Kind unzufrieden ist
Die englische Psychoanalytikerin Juliet Hopkins konnte diesen Zusammenhang im Rahmen einer Mutter-Kind-Studie eng beobachten. Sie lernte das Baby Louise und seine Mutter kennen. Die Expertin war zunächst beeindruckt von der Harmonie zwischen Mutter und Kind. Als das Mädchen gerade erst sechs Tage alt war, schien sie sehr zufrieden, weinte nie und ihre Mutter schien Louises Bedürfnisse immer schon zu ahnen, noch bevor das Kind sie deutlich machen musste.

Als Louise älter wurde, begann das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter immer angespannter zu werden. Die Mutter bemühte sich, ihrer Tochter auch nur kleinste Frustrationserlebnisse zu ersparen, erfüllte alle Wünsche und war immer in Louises Nähe. Als Louise zwei Jahre alt war, litt sie unter Schlafstörungen, ignorierte ihre Mutter und nur der Vater durfte ihr etwas zu Essen geben – ihre besorgte Mutter nahm das Kind gar nicht wahr. Die stets präsente Mutter wurde von ihrer Tochter als Gegenstand betrachtet.
Hopkins beschreibt das Verhalten der Mutter als “Too-good Mothering”. Ein Begriff, den der Kinderpsychoanalytiker Donald Winnicott schon in den 50er Jahren geprägt hat. Die Beobachtungen von Juliet Hopkins am Beispiel von Louise zeigen klar, dass Mütter, die perfekt sein möchten, ihr Kind vor Unzufriedenheit schützen wollen. Für Neugeborene ist das sofortige Stillen ihrer Bedürfnisse wichtig, doch je älter die Kinder werden, desto mehr schadet es ihnen, wenn auf jede Äußerung eine prompte Reaktion kommt. Mütter, die immer „alle richtigen Dinge im richtigen Moment“ machten, so erklärt Winnicott, schaden der emotionalen Entwicklung ihrer Kinder.
Wieso ist zuviel Aufmerksamkeit schlecht?
Ein Kind kann gar nicht genug geliebt werden – auch das gehört zu den Sätzen, die Eltern immer wieder hören und diese unendliche Liebe möchten sie zeigen. Doch ein Kind zu lieben bedeutet nicht, es ständig zu versorgen. Ein Erziehungsstil, der dem Kind keine Grenzen setzt und ihm nicht erlaubt selbst zu testen, was es überhaupt möchte, ist gefährlich für das Kind.
Woher soll ein Kind wissen, was Appetit oder Durst ist, wenn die Eltern stets schon alles anbieten, noch bevor das Kind ein Bedürfnis äußern kann? Vielleicht weint ein Kind ja auch, weil es Bauchschmerzen hat? Es muss selbst herausfinden, was es benötigt. Kleine Frustrationserlebnisse, etwa weil das Lieblingsspielzeug nicht in Griffnähe ist, können zu großen Erfolgen führen – etwa dem ersten vorsichtigen Robben hin zur heißersehnten Puppe. Und wird ein Kind ständig beschäftigt, kann es nicht lernen, allein zu spielen.
Wenn ein Baby weint, möchte eine perfekte Mutter sofort alle Bedürfnisse stillen. Doch das kann sie gar nicht, oft kennt das Kind sie selbst nicht. Wenn ein Baby vor Wut heult, weil es nicht klappen will mit dem Hochziehen am Stuhl, dann ist die Mutter, die es hinstellt, keine Hilfe. Kinder, die nicht lernen Frustrationen auszuhalten, denen stets jede Anstrengung abgenommen wird und die nie ihre Grenzen erfahren dürfen, können tatsächlich schwere Verhaltensdefizite entwickeln. Laut Winnicott haben diese Kinder oft keine andere Wahl, sie gingen eine enge Symbiose mit der Mutter ein oder würden diese heftig zurückweisen. Später können sich oft nicht in Gruppen einfügen, sich in andere hineinversetzen und sind oft frustriert, da weder Lehrer noch Chefs sie in ihrer gewohnten Rolle als Prinz oder Prinzessin wahrnehmen.
Die gute Nachricht: Gut genug als Mutter zu sein – das reicht
Eine extrem überfürsorgliche Erziehung gilt laut Danya Glaser, deren Untersuchung das Bundesfamilienministerium auf seinen Seiten zitiert, als eine Kategorie des emotionalen Missbrauchs. Übervorsichtige Eltern, die ihren Kindern nichts zutrauen, sie überbehüten und in Extremfällen sogar verhindern wollen, dass ihr Nachwuchs Kontakt zu anderen Menschen hat, brauchen dringend Hilfe. So paradox es zunächst klingen mag: auch in solchen Fällen interveniert das Jugendamt, weil das Wohl des Kindes gefährdet ist.
Ein Kind zu lieben bedeutet auch, es als eigene Person wahrzunehmen. Und sich selbst als Eltern. Auch Eltern haben Wünsche und Bedürfnisse. Und werden diese immer unterdrückt, dann ist das auch nicht im Interesse des Kindes. Der dänische Familientherapeut Jesper Juul spricht von authentischen Eltern. Die ganz klar sagen, dass sie jetzt keine Süßigkeiten kaufen möchten, auch wenn der Nachwuchs quengelt. Es ist ein Wunsch des Kindes, kein wirkliches Bedürfnis. Es muss lernen, diese Frustration auch auszuhalten. Und die Eltern? [quote]„Es gibt auch Eltern, die viel zu viel Zeit mit Erziehung verbringen“, sagt Juul. „ Aber es gibt keine perfekten Eltern! Es gibt nicht einmal annähernd perfekte Eltern. Selbst die besten Eltern machen pro Tag zwanzig Fehler. Das ist völlig normal. Man muss nur dazu stehen.“[/quote]
So sah das sicher auch Donald Winnicott, der betonte, dass eine Good-Enough Mutter mit ihren Fehlern ihrem Kind die nötigen Lernerfahrungen mitgibt. Beim nächsten Wutanfall des Nachwuchses immer daran denken: manchmal müssen Eltern es ertragen, gehasst zu werden. Es ist ja nur für einen Moment. Oder wollen Sie wirklich bei jedem Einkauf Naschkram und Überraschungsseier kaufen? Na, eben.
Sehr schöner und wichtiger Artikel, danke dafür!!!!
Ich finde das super was hier alles beschrieben und erklärt wird. Es könnte für die eine oder andere Mutter ein guter Tipp oder sogar ein guter neuer Anfang werden. Ich mache auch zig Fehler am tag ABER das muss so sein, und nicht anders es heißt ja auch schließlich nicht im sonst „nobody is perfekt „♡