Ringelstrümpfe & Karokleid

Seitdem meine Tochter ihre Kleidung selbst aussucht, gerate ich modisch manchmal an meine Grenzen. So zum Beispiel, als sie im Sommer kunterbunt gemustert mit Winterstrumpfhose und kariertem Kleid das Haus verlassen will.

„Süße“, argumentiere ich vorsichtig, „es wird heute sehr heiß und Erwachsene ziehen keine Ringelstrümpfe mit Karos an“. Wovon sich meine Tochter gar unbeeindruckt zeigt: „Aber das macht doch nichts, Mama. Ich finde, ich sehe schick aus.“ Spricht’s und holt die lila Winterschuhe aus dem Kleiderschrank. „Und die ziehe ich dazu an!“

Ich seufze. Was nützen logische Argumente, wo sie sich doch so schön fühlt? Nichts. Und so bringe ich meine kleine Prinzessin zum Kindergarten, wo sich die Erzieherinnen große Mühe geben, die Fassung zu bewahren. Ich fühle mich in Erklärungsnot und murmele etwas in Richtung „Das hat sie selber ausgesucht!“. Die Erzieherinnen lächeln ungläubig. Offensichtlich trauen sie meinem Sprössling nicht zu, sich modisch dermaßen zu vergreifen. Dabei hatte sie am Vortag darauf bestanden, den Kindergarten mit einer weißen Leggins, einem rosa Glitzershirt und Ballettschuhen zu besuchen. Gekrönt wurde dieser Aufzug von einer Halskette in Regenbogenfarben und dicken weißen Sportsocken – mein Herzchen liebt es nun mal bunt und ausgefallen.

Vielleicht, sage ich mir zum Trost, hilft ihr das, sich von der dezent gekleideten Mutter abzugrenzen. Und auch wenn alle Biologen dieser Welt den Kopf schütteln: ich bin hundertprozentig sicher, dass es ein Gen für Penibilität gibt. Mein liebes Kind verlässt das Haus nur, wenn die Ferse an jeder Socke exakt sitzt, das Unterhemd über dem Schlüpfer hängt und die Ärmel des Pullovers unter den Jackenärmeln hervorlugen.

„Von mir hat sie das nicht!“ rufen mein Angetrauter und ich unisono jeden Morgen und verdrehen genervt die Augen. Das Dumme ist, dass unsere Umwelt uns kein Wort glaubt, sieht doch zumindest mein Gatte jeden Tag von früh bis spät aus wie aus dem Ei gepellt und gebe auch ich mir Mühe, adrett auszusehen. Verglichen mit unserem Sprössling aber sind wir regelrecht schlampig.

Will sie uns toppen? Nein, ich denke eher, sie will uns testen. Frei nach dem Motto: Wie viel eigener Wille darf’s denn sein, liebe Eltern? Nun, ganz einfach: solange keine akute Gefahr durch Unterkühlung oder Hitzschlag besteht, mische ich mich bei der Kleiderwahl nicht mehr ein – vorbei die Zeit, als ich in Versuchung geriet, „Das ist zwar mein Kind, aber wir haben auch hübsche Sachen im Schrank“ zu sagen, anstatt Bekannte beim Spaziergang freundlich mit „Guten Morgen“ zu grüßen.

Als in Sachen Kleidung schon früh leidgeprüfte Mutter lehne ich mich entspannt zurück und freue mich auf die Pubertät, in der die Freundinnen meiner Tochter mit wilden Frisuren und ausgefallenen Klamotten den Aufstand werden proben wollen. Die Sache mit dem Streit über das Outfit haben wir dann schon längst überstanden…

Von Redakteurin Christine Finke  (Sommer 2005)