Fasching ist ein Spiel. Eines, bei dem in andere Rollen geschlüpft werden darf, närrische Tage, die einfach im Zeichen einer ausgelassen Fröhlichkeit stehen. Jan ist Rheinländer und freut sich jedes Jahr auf das Fest. Nach dem Besuch des traditionellen Rosenmontagsumzug in der Kölner Innenstadt wird im Familienkreis gern weiter gefeiert. Seine Frau Judith allerdings kommt aus Hamburg und kann wenig mit Fest anfangen.
„Ich fand es schon als Kind nicht so aufregend, mich zu verkleiden. Diese Massenveranstaltungen sind mir einfach zu voll.“ Das Paar lebt seit fünf Jahren gemeinsam in Köln – die unterschiedlichen Ansichten zum Thema Karneval waren bisher noch nie ein Problem. „Jan mag das ja gern. Ich bin in meinem ersten Jahr hier auch mitgekommen, aber ich für mich ist das einfach nichts. Jan kann gern allein mit seinen Freunden feiern, aber ich mag es einfach nicht.“ Jan fand es zwar schade, dass Judith keinen Spaß am Fest hat, aber ihre Ablehnung konnte er verkraften. Doch in diesem Jahr ist das anders. Denn vor gut einem Jahr wurden die beiden Eltern.

„Ich möchte gern, dass wir drei als Familie zum Umzug gehen. Das ist doch lustig, wir können uns alle witzig verkleiden und Nele ist mit ihren 11 Monaten auch schon sehr aufgeweckt, der wird es gefallen. Das wird eine schöne Familientradition. Später können wir dann auch zusammen alle ein wenig bei meinem Bruder mit meinen Geschwistern und ihren Cousins und Cousinen feiern.“ Doch Judith möchte das auf keinen Fall. Denn sie findet, dass eine Karnevalsfeier überhaupt nicht kindgerecht ist. „Jan erklärte dann, wir könnten Nele ja einen Kopfhörer als Hörschutz aufsetzen. Aber ich bin nun einmal dagegen. Ein so kleines Kind braucht das nicht.“
Verantwortungsbewusste Eltern nehmen kleine Kinder und Babys nicht mit zu großen Umzügen
Sind die Tage, die für viele Erwachsene und auch für ältere Kinder eine willkommene Auszeit vom Alltag sind, für Babys und Kleinkinder auch so wichtig? In etlichen Regionen Deutschlands ist Fasching nur ein Tag, an dem Kinder in die Kita oder in die Schule mit Kostüm gehen, aber in den Karnevalshochburgen stellen sich viele Eltern diese Frage.

Wolfgang Oelsner aus Köln ist Kinder- und Jugendpsychotherapeut – und passionierter Karnevalist. Er hat neben zahlreichen Fachpublikationen mehrere Bücher zum Thema Karneval veröffentlicht, wie etwa „Karneval – wie geht das?“ erschienen 2013 im Bachem Verlag. Ist die Teilnahme an einem Karnevalsumzug schon etwas für die Kleinsten?
„Nein,“ sagt Wolfgang Oelsner. „Wer als Narr am Straßenrand bei einem der großen Umzüge richtig mitfeiern möchte, sollte als verantwortliches Elternteil sein Kind nicht mitnehmen.“ Denn für die Kleinsten sei es viel zu laut, zu voll und von dem Treiben würden sie wenig verstehen. Wer in der dritten Reihe mit einem Kleinkind steht, kann dem Trubel auch gar nicht so schnell entkommen. Die Geräuschkulisse, das lange Stehen in der Kälte, das alles sei nicht kindgerecht, betont der Experte.
Diese Meinung teilt auch der Düsseldorfer Kinderarzt Dr. Hermann Josef Kahl: „Säuglinge und Kleinkinder gehören nicht auf den Karnevalszug. Der Rummel ist zu groß, die Reizüberflutung kann noch nicht neutralisiert bzw. gefiltert werden.“
Ab wann haben Kinder am Karneval Spaß?
Kinder ab etwa drei Jahren können – je nach Typ – Freude an Umzügen haben. Allerdings bieten sich hier die kleineren, etwa in den Vororten oder auf den Dörfern, an. Der Vorteil: bleibt der Rahmen überschaubar, können Eltern und Kind bei Langeweile oder bei Lärmempfindlichkeit schnell den Rückzug antreten. Die Züge sind kürzer und die Gefahr, dass ein Kind in einer Menschenmasse verloren gehen oder sich losreißen und unter Wagenräder geraten könnte, besteht nicht. „Die Vorortszüge sind gut geeignet, um Kindern die Bräuche und Rituale zu zeigen,“ so Wolfgang Oelsner.
Ganz wichtig ist , dass sich Eltern klar machen, welche Bedürfnisse ihr Kind hat, was es mag und auf seine Ängste und Bedürfnisse einzugehen. Denn das, was für Erwachsene eine schöne Illusion ist – nämlich die Verkleidung – kann für Kinder unheimlich sein. Manche Kinder erinnern sich lange eher mit Schrecken an Erlebnisse bei mit kostümierten Menschen.Verena ist 45 Jahre alt und erinnert sich noch heute daran, wie sehr sie sich vor den verkleideten Hexen beim Fastnachtsumzug als kleines Mädchen fürchtete.
„Kinder im Kindergartenalter haben eine ‚magische Phase'“, erklärt Oelsner. „Sie entwickeln dabei enorme Phantasie, sehen lebendige Schatten, Monster und können sich schnell gruseln.“ Wenn sie dann Menschen im Horrorkostüm begegnen, ist das Grauen für sie sehr real. „Ganz kleine Kinder können Maskeraden nicht einordnen, sie verstehen auch das Spiel mit den Rollen nicht, das für die Erwachsenen einen Reiz ausmacht.“ Eltern sollten daher darauf achten, wie ihre Kinder reagieren und notfalls auch eine Feier oder einen Umzug verlassen.
Sich selbst richtig vom närrischen Treiben mitreißen lassen sollten verantwortungsvolle Eltern nicht, wenn ihre Kinder dabei sind. Denn wenn Eltern plötzlich ganz anders auftreten als sonst, etwa weil sie auch Alkohol getrunken haben oder im Karnevalsfieber heftig flirten – dann sind Kinder sehr verunsichert und fühlen sich bedroht.
Feiern im kleinen Rahmen sind der beste Einstieg
Wenn Familienfeiern zum Faschingsritual gehören, können kleine Kinder durchaus dabei sein. Auch hier gilt natürlich, dass die Erwachsenen respektvoll und verantwortungsbewusst sind. Wichtig ist der Rahmen – ist es eine Feier, bei der nur ein paar Kinder dabei sind, aber die Großen im Vordergrund stehen? Ist immer jemand da, der die Kinder beaufsichtigt?
„Man kann nicht oft genug auf die Sicherheit hinweisen. Unbeaufsichtigte Kinder können sich leicht verletzen oder vergiften, etwa mit Alkohol oder Zigarettenkippen“, sagt Dr. Hermann Josef Kahl. Wichtig sei immer eine verantwortungsvolle, kompetente Aufsicht und Kinderbetreuung.
Ein Fest, bei dem kleine Kinder im Mittelpunkt stehen, kann mit liebevoller Vorbereitung beginnen. Etwa dem Basteln von Dekoration, einer kleinen Krone oder einem Schild für einen Mini-Ritter. Auf Gesichtsmasken sollte am Anfang lieber verzichten werden, aber Lieder, kleine Spiele und Rollenspiele können auch schon den jüngeren Gästen Freude machen.

Und wenn ein Kind so gar keine Lust auf das Verkleiden hat? „Dann sollte es auch nicht dazu überredet oder gar gezwungen werden“, sagt Wolfgang Oelsner. „Das Verkleiden und das ‚So-als-ob-Spiel‘ sollen ja Spaß machen. Wer unfreiwillig mitmachen muss, wird bestimmt kein Karnevals-Freund und eher unangenehme Erinnerungen an das Fest haben.“
Damit Eltern und Kinder gemeinsam schöne Karnevals- oder Faschingstage haben können, empfiehlt Wolfang Oelsner: „Das Feiern muss kindgemäß sein, sonst hat keiner etwas davon. Weder die Kinder, noch die Erwachsenen.“