Jeden Morgen nach dem Frühstück schnappt sich Niklas seinen kleinen blauen Rucksack vom Haken im Flur und tippelt damit zur Wohnungstür. Auf zu „Ina“, wie er seine Tagesmutter nennt. Niklas ist 18 Monate alt und geht seit ein paar Monaten täglich zu Corina Bormann ins „Zwergenland“. Mittlerweile gehört der Besuch bei der Tagesmutter zu seinem Alltag. Doch bis Niklas sich an die neue Situation gewöhnt hat, hat es eine ganze Weile gedauert.

Krippe und Tagesmutter – eine große Umstellung
Wenn Kinder in die Krippe oder zur Tagesmutter kommen, sind sie noch sehr klein. Manche sind noch nicht einmal ein Jahr alt, wenn sie das erste Mal in eine Betreuungseinrichtung gebracht werden. Für die Kleinkinder bedeutet das eine riesige Umstellung: Eine völlig neue Umgebung, fremde Menschen, ein ganz anderer Tagesablauf, und vor allem: nicht mehr die ganze Zeit bei Mama oder Papa sein. Aber auch die Eltern müssen sich an die neue Situation erst einmal gewöhnen. Bis eben hatten sie noch ihr Baby bei sich zu Hause und konnten jeden einzelnen Entwicklungsschritt selbst miterleben. Nun müssen sie die Veranwortung mit anderen teilen und den Erziehern ihr Vertrauen schenken. Und die Eltern müssen auch ihren Teil dazu tun, dass die Eingewöhnung überhaupt klappt – denn das hängt entscheidend auch von ihrem eigenen Verhalten ab.
Vorgespräch und erstes Kennenlernen
Damit sich das Kind in der Einrichtung wohlfühlen kann, sollten die zukünftigen Erzieher möglichst viel über das Kind in Erfahrung bringen. In einem ausführlichen Vorgespräch geht es um Fragen zur Gesundheit, um Ess- und Schlafgewohnheiten sowie um die tägliche Hygiene und den individuellen Entwicklungsstand des Kindes. Dabei können Eltern aber auch über ihre Wünsche und Erwartungen, die sie an die Betreuung haben, sprechen. Gerade wenn die Kinder so klein sind und sich selbst noch nicht ausreichend verbal ausdrücken können, ist die Kommunikation zwischen Eltern und Erziehern umso wichtiger.
Auch später, wenn das Kind morgens gebracht wird, helfen kurze Absprachen unter den Erwachsenen, den Alltag des Kindes in der Krippe oder der Tagespflege zu erleichtern. Dazu gehören oft auch Kleinigkeiten, die aber wichtig für den Tagesablauf sein können: Zahnt das Kind gerade oder hat es in der Nacht schlecht geschlafen? Derlei Tür- und Angel-Gespräche signalisieren den Betreuern auch, dass die Eltern ihre Arbeit zu schätzen wissen.

Manche Krippen oder Tagespflegeeinrichtungen bieten, wie in Kindergärten, so genannte Schnuppernachmittage an. An diesen Tagen kann das Kind noch vor der Eingewöhnung zusammen mit seinen Eltern ein oder zwei Stunden zum Spielen vorbeikommen und sich schon einmal mit der neuen Umgebung vertraut machen.
Corina, die Tagesmutter von Niklas, hat den Jungen und seine Eltern vorher sogar zu Hause besucht. Sie wollte sehen, wie er sich in seiner vertrauten Umgebung verhält, wie er spielt und wo er schläft. Stolz zeigte Niklas ihr seine kleinen Autos und seinen Lieblingsteddy. Gleichzeitig diente der Besuch dazu, Niklas‘ Eltern besser kennenzulernen.
Die Beziehung zwischen den Eltern und der Tagesmutter ist meist sehr persönlich. Das liegt an der speziellen Situation, denn meist betreut die Tagesmutter die Kinder in der eigenen Wohnung. Zudem ist die Gruppe mit maximal fünf Kindern deutlich kleiner als in der Krippe. Natürlich brauchen auch die Fachkräfte einer Krippe Informationen über das familiäre Umfeld, um sich möglichst genau auf ein Kind einstellen zu können. Und selbstverständlich werden die Pädagogen die Eltern auch ausführlich über den Alltag in der Einrichtung informieren. Aber ganz egal, ob Tagesmutter oder Krippe: verstehen sich die Eltern mit der Bezugsperson ihres Kindes gut, wirkt sich das auch positiv auf das Kind aus.
Ein sanfter Start
Eine radikale Eingewöhnung gehört zum Glück längst der Vergangenheit an. Die meisten Einrichtungen gewöhnen die Kinder über mehrere Wochen ein. Und: die Eltern dürfen sie dabei unterstützen.
Bekannt und oft praktiziert wird das so genannte Berliner Modell. In drei Phasen soll das Kind dabei an die neue Situation gewöhnt werden, um Vertrauen zu seiner neuen Bezugsperson aufzubauen. In den ersten drei Tagen – in der Grundphase – bleiben die Eltern in unmittelbarer Nähe des Kindes. Ohne Druck soll es die neue Umgebung erkunden und die anderen Kinder und ihre Erzieher kennenlernen. In der Stabilisierungsphase verbringt das Kind erstmals eine kurze Zeit alleine in der Einrichtung. Die Zeitspanne wird dabei nach und nach verlängert. Erst in der dritten, der Schlussphase, verbringt das Kind einen längeren Zeitraum alleine in der Krippe oder Tagespflege.
Dass ein gelungener Start auch maßgeblich von der Qualität der Einrichtung und dem Betreuungsschlüssel abhängt, bestätigt eine Studie des Instituts für Bildungswissenschaft der Universität Wien. Wilfried Datler leitete die Wiener Krippenstudie WiKi. Natürlich bedeute der Besuch in einer Betreuungseinrichtung auch Stress für die Kinder, so Datler, gleichzeitig würden die Kinder aber gestärkt aus dieser Trennungserfahrung heraus gehen. Die Kinder erwerben Resilienz, also Widerstandskraft, die ihnen auch bei späteren Schwierigkeiten im Leben helfen kann.
Wie lange dauert die Eingewöhnung?
Wie lange genau die Eingewöhnung dauert, ist unterschiedlich und hängt vom Kind ab. In der Theorie spricht man von zwei bis vier Wochen. In der Praxis kann die Eingewöhnung durchaus länger dauern. Klar gibt es immer wieder Kinder, die sich bereits nach ein paar Tagen an die neue Situation gewöhnt haben und von Anfang an Vertrauen zur Erzieherin fassen. Manchmal kann die Eingewöhnung aber auch länger dauern und mit einigen Tränchen verbunden sein.

Auch Niklas hat ein paar Wochen gebraucht, um sich an die neue Routine zu gewöhnen. Die ersten Tage hat er sich gar nicht vom Schoß seiner Mama getraut. Erst nach und nach siegte die Neugier und er probierte das Bobby Car aus und erkundete die Kinderküche und das Netz mit den Spielbällen. Nach einigen Wochen kannte er dann alle Abläufe und das Eis war gebrochen.
Dem Kind Zeit geben
Corina Borman, 33, ist seit acht Jahren Tagesmutter. In ihrer separat angemieteten Tagespflege ist alles auf Kleinkinder eingestellt: Kleine Tische und Stühle, niedrige Waschbecken und jede Menge Rutscheautos, Bücher und Bausteine finden sich hier in einer kunterbunt bemalten Wohnung. Bei der Eingewöhnung ihrer Schützlinge geht Bormann behutsam vor: „Manche Kinder brauchen mehr Zeit als andere, ehe sie bei mir richtig ankommen. In Absprache mit den Eltern bin ich bemüht, ihnen diese Zeit zu lassen.“
Dass Eltern und Pädagogen ihren Kindern genügend Zeit lassen sollten, bekräftigt auch die Krippenforscherin Dr. Lieselotte Ahnert vom Institut für Entwicklungspsychologie der Universität Wien. Ihr Appell: „Nehmt euch genug Zeit für die Eingewöhnung!“ In den ersten Tagen sind die Eltern mit ihrem Kind nur ein oder zwei Stunden in der Einrichtung. Was sich für einen Erwachsenen aber kurz anfühlt, kann für ein so kleines Kind sehr lang sein. Es gibt so viele neue Eindrücke zu verarbeiten: unbekannte Gesichter, ein hoher Lärmpegel und ein ganz anderer Tagesablauf als zu Hause. Und noch etwas sei wichtig: „Während der Eingewöhnung kann es dem Kind helfen, den restlichen Tag ruhig zu gestalten. Natürlich kann es nachmittags auch auf dem Spielplatz herumtoben, aber zusätzliche Termine wie Spielgruppen könnten sich stressig auf das Kind auswirken“, erklärt Tagesmutter Bormann.
Teddy muss mit
So lange Zeit ohne Mama und Papa zu sein, ist für das Kind eine echte Herausforderung. Niklas hat es zum Beispiel geholfen, dass Corina jeden morgen mit ihm am Fenster nach den Autos auf der Straße geschaut hat. Dabei konnte er noch etwas Nähe und Geborgenheit von ihr erfahren und so behutsam in den Tag starten.

Wenn das Kind ein Liebingskuscheltier oder ein Schmusetuch hat, kann dieses ruhig zum ständigen Begleiter in der Betreuungeinrichtung werden. Auch tägliche Routinen helfen dem Kind dabei, Sicherheit zu gewinnen. Gerade wenn sie noch so klein sind und noch kein Zeitgefühl haben, hilft eine äußere Struktur, um die neuen Abläufe zu verinnerlichen.
Loslassen und vertrauen
Wenn Eltern ihr Kind in die Krippe oder zur Tagesmutter geben, sollten sie voll hinter ihrer Entscheidung stehen. Kinder haben feine Antennen und merken sofort, wenn irgend etwas nicht stimmt. Wenn Mama oder Papa beim Abschied ungewohnt lange zögert oder mit einer jammernden Stimme spricht, merkt das Kind die Unsicherheit und wird sich selbst auch unwohl fühlen. Über Ängste und Zweifel können und sollten Eltern immer mit den Fachkräften reden. Die Pädagogen sind Profis und helfen mit ihren Tipps und Erfahrungen gerne bei Fragen und Sorgen. Grund, auf die Tagesmutter oder die Erzieherin eifersüchtig zu sein, gibt es übrigens keinen. Die Erzieherin ist kein Mutterersatz, sondern unterstützt das Kind bei seinen Erkundungen, hilft ihm beim Essen und bei der Pflege und spendet, wenn nötig, Trost.