„Ich sollte eigentlich glücklich sein. Denn in vier Wochen erwarte ich unser lang ersehntes Wunschkind. Mein Mann Markus und ich freuen uns schon sehr, aber seit zwei Wochen bin ich ziemlich verzweifelt. Gar nicht einfach, dass zu erklären, ohne komisch zu klingen. Wir wohnen am Rand einer kleinen Stadt, am Anfang war es etwas schwierig, sich einzuleben, denn irgendwie hatte ich das Gefühl, dass alle hier schon geboren sind. Wir beide kommen eigentlich aus Braunschweig, aber als Markus einen neuen Job angeboten bekommen hat, sind wir beide umgezogen. Da waren wir schon zwei Jahre verheiratet und wünschten uns Kinder. Ich habe recht schnell einen neuen Job als Hotelfachfrau bekommen und mittlerweile haben wir uns gut eingelebt. Immerhin sind wir ja auch schon drei Jahre hier.
Mit der Freundin zusammen hibbeln
Fast genauso lange kenne ich Anja. Wir haben uns auf einem Seminar kennen gelernt und gleich festgestellt, dass wir uns irgendwie bekannt vorkamen. Tatsächlich wohnt Anja nur ein Häuserreihe weiter. Auch ihr Mann Torben ist total nett und wir vier waren sogar einmal zusammen in Dänemark und haben da das neue Jahr begrüßt. Etwa einmal im Monat treffen wir uns zu einem Spieleabend. Als wir Anja und Torben vor acht Monaten erzählten, dass es nun endlich geklappt hat und wir unser Baby im Mai erwarten, da war es erst total still. Ich hatte etwa Angst gehabt, es ihnen zu erzählen, denn ich wusste, dass Anja sogar bei ein Kinderwunschpraxis in Behandlung war.

Wir beide hatten so eine Art gemeinsamen Galgenhumor entwickelt und uns schon angeregt über Schwangerschaftstests und Sex nach Plan unterhalten. Wie würde Anja reagieren, wenn ich ihr erzähle, dass ich unseren kleinen Hibbel-Club verlasse? Eigentlich wollte ich es ihr lieber unter Frauen erzählen, aber das fand Markus doof. Also überließ ich meinem Göttergatten, dass er freudestrahlend erklärte, dass wir ab Sommer unsere Abend zu fünft verbringen würden. Und dann kam da diese Pause. Und dann sagte Torben: „Nein, zu fünft ist nicht. Wir werden sechs sein.“ Erst als Anja sich mit der Hand über den Bauch strich, fiel mir auf, dass der nicht mehr so flach wie sonst war. Anja war schon in der 14. Schwangerschaftswoche – aber sie hatte sich nicht getraut, es uns zu sagen. Wir freuten uns alle riesig. Schmiedeten Pläne und freuten uns, dass wir gemeinsam das Abenteuer Elternschaft begehen würden.
Gemeinsam Namen fürs Baby überlegen
Da wir ja nicht weit auseinander wohnen, war ja klar, dass Anja und ich uns später in der Babyzeit prima unterstützen können. Unsere Kinder werden gemeinsam auf dem Spielplatz spielen, zusammen in den Kindergarten und in die Schule gehen. Und auch die Schwangerschaft genossen wir wirklich gemeinsam. Anja und ich stöberten gemeinsam auf Märkten nach Anziehsachen für die Kleinen und tauschten uns viel aus. Auch über die Namen. Das war für uns beide nämlich ein wichtiges Thema.
Ich wollte unbedingt einen Namen, der nicht zu häufig, aber auch nicht zu selten ist. Markus war das genauso wichtig, denn wir beide hatten immer andere Kinder mit dem gleichen Namen in der Klasse und fanden das immer blöd. Ein Mädchen wollten wir Nele nennen und auch einen Namen für einen kleinen Jungen hatten wir uns schon lange überlegt: Samuel. Ich erfuhr in der 18. Schwangerschaftswoche, dass ich vor allem nach blauen Stramplern Ausschau halten musste.
Anja erzählte mir, dass sie auch einen Stammhalter bekommen würden. Den Namen wollte sie mir nicht verraten. „Torben und ich streiten uns da ziemlich. Wir haben jetzt zwei Namen und entscheiden uns dann, wenn wir in das Gesicht unseres Sohnes blicken.“ Markus und ich hatten die Namen ja schon vor Jahren ausgesucht und ich hatte sie Anja auch verraten. In einer unser Hibbel-Club Babysehnsuchtsrunden.
Die böse Überraschung: das Kind der Freundin trägt den Namen des eigenen Babys!
Vor zwei Wochen hat Anja nun ihren Sohn bekommen. Und ich kann mich nicht für meine Freundin freuen. Ich bin nämlich stinksauer auf sie und möchte diese Frau am liebsten nie wieder sehen. Denn ich fühle mich von ihr total hintergangen. Eine Nachricht auf meinem Smartphone hat die Wut ausgelöst. Darauf hatte ich sehr gewartet, denn noch vor ein paar Stunden kam ein „Es ist so weit. Fahren in die Klinik. Drücke uns die Daumen, Anja“ gekommen.
Nun also schickte sie uns ein Babybild. Und darunter stand: „Unser Samuel ist da. Er ist 56 Zentimeter groß und stolze 3900 Gramm schwer. Mami und Baby gesund. Lieben Gruß, Anja und Torben.“ Ich fing bitterlich an zu weinen. Markus war ganz besorgt. Als er fragte, was los sei, erklärte ich ihm, dass Anja, meine ehemalige Freundin Anja, unserem Samuel den Namen gestohlen hätte. Schon seitdem ich weiß, dass ein kleiner Junge in meinem Bauch strampelt, spreche ich ihn mit diesem Namen an, freue mich so auf ihn. Und nun kommt Anja und nennt ihr Kind einfach so. Warum tut sie mir das an? Wir hatten doch so viele gemeinsame Pläne, warum wurden die zerstört?
Den Kontakt abrechen? Einen anderen Namen wählen?
Seit der Geburt habe ich Anja nicht gesehen. Ich habe Markus gebeten, eine kurze SMS mit einem Glückwunsch zu schicken. Aber ich möchte den Kontakt am liebsten für immer abbrechen. Aber geht das? Wir werden uns ja immer über den Weg laufen. Nun muss ich mir nach all diesen Jahren, die ich mich auf meinen Samuel freue, einen neuen Namen suchen.
Mein Mann meint, ich würde total übertreiben. Er meint, wir sollten einfach bei Samuel bleiben, dass sei nun einmal sein Name und wir wären uns einig. „Später wohnen die bestimmt nicht zusammen. Und vorher ist einer eben Samuel und einer Sammy. Vielleicht wollen Anja und Torben das ja auch Englisch als Sämmi aussprechen.“ Auch den Kontakt will er nicht abbrechen. Aber ich bin so unsicher. Hat mich Anja nicht total hintergangen? Ich habe das Gefühl, dass sie mein Vertrauen missbraucht hat und möchte nur den nötigsten Kontakt. Was soll ich nur tun?“
Wie kann Julia sich so verhalten?
liliput-lounge.de hat die Psychologin und Buchautorin Felicitas Heyne gefragt:
Felicitas Heyne: „Ich würde sagen, Julia sollte sich in einer so wichtigen Entscheidung nicht von ihrem momentanen Ärger auf die Freundin leiten lassen. Was ist Julia wirklich wichtig? Es geht ja schließlich nicht um den Wettbewerb um den originellsten Babynamen im Ort, sondern eine lebenslange Entscheidung. Und zwar um den für einen schönen Namen für ihr Kind! Gemeinsam mit ihrem Mann hat sich Julia ja schon vor langer Zeit für diesen Namen entschieden und ihr noch ungeborenes Baby trägt für das Paar diesen Namen. Gefällt Julia der Name noch immer – und so klingt es für mich – dann sollte sie, ganz, wie Ihr Mann es sagt – besser dabei bleiben. Ein „zweitbester“ Name würde immer ein Kompromiss mit einem unangenehmen Beigeschmack bleiben. Und so wie sich Julias Bericht anhört, hat sich das Paar den Namen doch lange und gut überlegt hat.
Von der Freundin sollte Julia sich nicht aus dem Konzept bringen lassen. Sie sollte allerdings unbedingt das Gespräch mit Anja suchen. Ist es wirklich so, dass Anja klar war, dass dieser Name für Julia und ihren Mann fest stand? Kann es nicht sein, dass Julia vor langer Zeit allgemein über Babynamen gesprochen hat und der Name eher beiläufig erwähnt wurde? Vielleicht haben Anja und Torben den Namen gar nicht „gestohlen“? Und selbst wenn, warum ist Julia das so wichtig, dass sie eine langjährige Freundschaft ohne Klärung beenden möchte?
Es scheint doch so viele Gemeinsamkeiten zu geben. Die pragmatische Lösung von Markus, dass vielleicht die beiden Jungen gar nicht gleiche Rufnamen haben, finde ich eine Überlegung wert. Samu, Sam, Sammy – da gibt es einige Möglichkeiten. Wenn Julia diesen Namen so mag, sollte sie ihren Sohn auch so nennen und sich über „Konkurrenz“ keine Gedanken machen. Nur weil es in der Schule und im Kindergarten noch einen anderen Samuel gibt, was macht das schon? Es geht doch darum, warum dieses Elternpaar den Namen wählt, welche Bedeutung es ihm beimisst und warum es ihn schätzt. Weltweit gibt es ganz viele Samuels und irgendeinen wird ihr Sohn immer mal treffen – na und? Das Kind wird nicht weniger einzigartig sein, nur weil ein anderes aus der Nachbarschaft genauso heißt wie es selbst! “
Felicitas Heyne ist Dipl. Psychologin, Mitglied des Bundesverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) und Autorin. Zudem ist sie auch systemische Einzel-, Paar-, und Familientherapeutin. Mehr Info auch unter: http://www.heyne.com
Protokoll und Interview: Silke R. Plagge
*Namen auf Wunsch geändert
Wie würden sie an Julias Stelle handeln? Ist Ihnen vielleicht etwas ähnliches passiert? Wir freuen uns auf Kommentare!
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