Der kleine Robin liebt Busfahren. Und jeder, der in seine Kinderwagen guckt, wird mit einem zweizähnigen Babylächeln beglückt. Doch ganz plötzlich – ohne jede Vorwarnung – wird aus dem Strahlemann ein ängstlicher kleiner Knopf, der sich bei Mama versteckt, wenn Tante Emmi kommt. Warum?
Ein ganz wichtiger Entwicklungsschritt
Das so genannte „Fremdeln“ ist ein ganz wichtiger Schritt in der Entwicklung des Kindes. Denn es zeigt, wie der kleine Mensch sich und seine Umwelt wahrnimmt. Meist findet dieser Einschnitt in der Zeit statt, in der das Kind mobiler wird, gezielt Krabbeln kann und sich immer mehr eigenständig Raum erobert. Es erkennt nun seine Bezugspersonen und begreift immer mehr ihre Bedeutung. Und auch, dass Mama und Papa eben nicht immer da sind. Man könnte diesen Prozess auch wirklich als „Lieben lernen“ bezeichnen. Babys beginnen jetzt auch ihr “Ich” zu entdecken und sich von anderen abzugrenzen. Für die Angehörigen manchmal ganz schön anstrengend. Denn das Baby hängt manchmal der Mutter im wahrsten Sinne des Wortes „am Rockzipfel“, nimmt krabbelnderweise die Verfolgung auf, will immer bei Mama sein. Und die Tante Emmi? Die kommt nur alle paar Wochen. Und der kleine Neffe weint bei ihrem Anblick und versteckt sich hinter Mamas Beinen.
Schutzmechanismus der Natur
Diese Reaktion ist normal. Sie bedeuten: „Mama, ich habe begriffen, dass du eine eigene Person bist und weg gehen kannst. Ich will bei dir sein.“ Und auch: „Tante Emmi, dein Gesicht ist für mich fremd, ich muss dich erst kennen lernen.“ Wie stark diese Abgrenzungsphase ist, variiert von Kind zu Kind. Dahinter stecken neben einer natürlichen und notwendigen Abnabelung auch Verlassenheits- und Trennungsängste. Die sind am Anfang der Phase meist besonders stark – manche Kinder fremdeln sogar bei ihrem Vater.
Fremdeln ist ein letzlich ein Schutzmechanismus der Natur, denn der kleine Weltenentdecker ist zwar schon recht mobil, kann aber noch keine Gefahren erkennen. Dadurch, dass ihm Fremdes nun unheimlich ist, wird er auch vor Gefahren geschützt und bleibt am liebsten in der Nähe der Mutter. Nach der ausprägten ersten „Fremdelphase“ bleibt meist eine gesunde Zurückhaltung unbekannten Menschen gegenüber. Trennungsängste von den engsten Bezugspersonen haben Kinder aber, bis sie etwa fünf Jahre alt sind.
Nicht jedes Kind zeigt ein ausgeprägtes Fremdeln. Manche reagieren auf Fremde einfach nur ein bisschen vorsichtig und lassen sich doch recht schnell auf sie ein, während sich andere sich sofort verstecken und weinen. Es sind einfach unterschiedliche Charakterzüge, manche Kinder sind sehr offen, haben schon viel positiven Kontakt mit verschiedenen Erwachsenen, andere sind eben deutlich schüchterner und zurückhaltener.
Was hilft?
Müttern hilft der Gedanke, dass dies eine wichtige Phase ist. Und natürlich müssen sie nicht immer auf das manchmal extreme Nähebedürfnis eingehen. Es aber wichtig, die Ängste des Kindes zu akzeptieren und seine Grenzen nicht gezielt zu überschreiten. Auch wenn Tante Emmi unbedingt einen Begrüßungsbussi von Robin haben möchte: Wenn das Kind ängstlich ist, muss sein “Sicherheitsabstand” respektiert werden.
Das beste Mittel ist freundliche Distanz, dem Besuch erklären, dass das Kind gerade Zurückhaltung braucht. Und Kind und Tante ermuntern, sich spielend entgegenzu kommen. Wenn Tante Emmi einen tollen bunten Ball in der Hand hat und damit im Kinderzimmer sitzt, wird der Kleine nach kurzer Zeit doch neugierig kommen. Und das Eis ist gebrochen. Der Fremde in den Kreis der Vetrauten aufgenommen und jedes Lächeln kommt ab nun von Herzen.